Samstag, 11. Januar 2014

Everglades

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Zur Abwechslung mal eine Karte mit etwas anderer Perspektive. Die grüne Linie umreisst grob die Everglades. Von Naples am Golf von Mexiko bis Homestead am Atlantik radelten wir in den zurückliegenden Tagen insgesamt 188 Kilometer durch eine einzigartige tropische Naturkulisse. Seit 1979 zählen die Everglades völlig zu Recht zum Weltnaturerbe der UNESCO. Wir durchquerten die Everglades auf dem Tamiami Trail (gelbe Linie). Tamiami ist die Abkürzung für Tampa-Miami. Die in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts fertiggestellte Fernstraße zwischen Ost- und Westküste trennt die Everglades nicht nur optisch in einen Nord- und Südteil. Der Tamiami-Trail erstreckt sich auch physikalisch als Dammn durch den "Grasfluss". Und das hat massive Auswirkungen auf die Natur.

Bis zur Fertigstellung des Tamiami Trails waren die Everglades ein einziges, riesiges Ökosystem, in dem sich das nach Süden fließende Süsswasser des Okeechobee Sees mit dem nach Norden eindringenden Salzwasser des Golfes von Mexiko mischte und im tropischen Klima Südfloridas eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt schuf. Die Fertigstellung der Fernstraße unterbrach den Austausch von Süss- und Salzwasser. Das Ökosystem veränderte sich komplett. Die Salzwasser-Flora und Fauna verschwand im Norden, die Süsswasser-Flora und Fauna im Süden.

Ein weiteres düsteres Kapitel in der Leidensgeschichte der Everglades ist die anhaltende Umweltverschmutzung. Umweltschutz ist in den USA nach wie vor so populär wie die Frauenbewegung im Iran. Die Everglades galten und gelten als extrem gefährdet. Düngemittel und Quecksilber vergiften die Fische. Kinder und Schwangeren wird laut Wikipedia vom Verzehr abgeraten. Viele Tierarten gelten als extrem bedroht oder gefährdet. 

Seit 1940 sind diese Probleme bekannt, aber erst im Jahre 2008 nahm man ein Renaturierungsprojekt in Angriff, das die Everglades retten soll. Die Reaktionszeit von 68 Jahren zeigt, wo die Prioritäten liegen. Ich möchte die Jungs einfach nur an der Gurgel packen und schütteln und schütteln und schütteln, wenn ich vom Rad absteige, solche Traumkulissen vor mir habe und gleichzeitig weiß, das diese faszinierende Tier- und Pflanzenwelt ums Überleben kämpft.


Zwei Everglades-Nächte verbrachten wir Im Zelt. Die erste davon im Collier-Seminole State Park Campground, der uns mit 7,9 Millionen Mücken, zwei hysterischen Hunden und dem nur mäßig besänftigenden Luxus von Duschen und Waschmaschinen beglückte.


Freunde, ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt, aber nachdem ich zum x-ten Mal den blutroten Gürtel des unbeugsamen Hundehassers erworben habe, wiederhole ich: nur ein toter Hund ist ein guter Hund. Ein lahmer und stummer Hund wäre ein gerade noch erträglicher Kompromiss. Zur Hölle mit dem Rest. Aus! Neues Thema und vom Land aufs Wasser: Mit dem Kanu durch die Everglades...


Der Wechsel von der Straße aufs Wasser und vom Rad ins Kanu bedeutet nicht nur eine völlig andere Art der Fortbewegung. Der Motorenlärm verstummt und räumt das Feld für die unzähligen Stimmen der Natur: Die Paddel tauchen ins beinahe schwarze Wasser, der Wind streicht durch das Dickicht der Mangroven und allerlei amphibisches und geflügeltes Getier reichert den Soundtrack mit Gequake, Geschnatter und Gekreische an. Trotz Trockenzeit sind eine Unmenge Mosquitos auf dem Kriegspfad. S.W.A.T. Team bekommt in den Everglades eine völlig neue Bedeutung. Bevor jetzt jemand... leo-t? "Swat" bedeutet "Fliegen-/Mückenklatsche" und "to swat" ist der Vorgang des Fliegen-/Mückenklatschens. Von Mückenspray lassen sich die geflügelten Vampire so stark beeindrucken wie Raucher von den Erkenntnissen der Medizin.


Quelle: Internet
Quelle: Internet

Über 3 Stunden paddelten wir durch das dichte Grün der Mangrovensümpfe, aber schon nach den ersten 5 Minuten war ich süchtig. Radl-Be, als nächstes steht eine Kayak-Tour an! Unmittelbar nach Ende der Kür in Key West wird das Kayak zur Priorität Nr. 1. Wir wollen ungedingt ein zweites Mal durch einen Mangroven-Tunnel gleiten, nach Möglichkeit aber im vergleichsweise wendigeren Kayak.

Über die Tierwelt hatte ich ja auch in den vorangehenden Blogbeiträgen schon geschrieben. Für Angie und mich sind die Alligatoren mit Abstand die faszinierendsten Bewohner der Everglades. Bis zum Schluss konnten wir uns nur schwer daran gewöhnen, dass die Sonnenanbeter mit den vielen Zähnen direkt am Straßenrand herumlümmeln. An manchen von ihnen sind wir im geistigen Ruhezustand mit nur 50 Zentimeter Abstand vorbeigeradelt, bevor das Hirn registriert hatte, was die Augen an Information lieferten. Und weil wir so begeistert von ihnen sind, gibt's jetzt DREI Alligatorenbilder.




Neben vielen Alligatoren begegneten wir auch zwei netten Kuriositäten. Zum einen trafen wir auf das kleinste Postamt der USA, das ohne Zweifel in jedes durchschnittliche Wohnzimmer passt, ohne dabei den Blick auf den Fernsehapparat zu verdecken:


Ebenfalls sehr süß finde ich dieses Ortsschild für Coopertown.  ACHT Einwohner leben in dieser Metropole. In Worten: 8! Zu wenig Leute für eine Fußballmannschaft, aber ein ausgewachsenes Ortsschild. Die Coopertowner haben entweder Sinn für Humor oder einen Buchhalter als Bürgermeister. Oder beides. ("PoP" ist übrigens die Abkürzung für "Population" = Einwohnerzahl).


Eine weitere Berühmtheit der Everglades ist der "Florida Panther". Mal abgesehen davon, dass der Panther in Wirklichkeit ein Puma ist, sind die Floridaner stolz auf ihren Panther. Interessant. Eine verfrorene Großkatze flieht von den hohen und kalten Bergen des Nordens in die flachen und heißen Sümpfe Südflordias und mutiert vom Puma zum Panther. Da sagt einer, man könne der Evolution nicht bei der Arbeit zusehen. "Ruck-Zuck, Zahn-Luck" würde mein alter Bekannter Ossi sagen. Was jetzt niemandem etwas nützt, weil niemand außer mir Ossi kennt. Zurück zum Pumanther, der sich als Snowbird-Katze entpuppt. Snowbirds nennt man in den USA die Bewohner der kälteren nördlichen Gegenden sowie Kanadas, die im Winter in den warmen Süden fliehen. "Mietz-Mietz..."

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Der Florida-Panther ist vom Aussterben bedroht. Zum einen wegen der extremen Territorialität dieser Tiere, die nach dem Highlander-Prinzip handeln: "ES KANN NUR EINEN GEBEN!" Die wesentlich größere Bedrohung jedoch kommt durch den Menschen, und zwar in Gestalt von Autos. Ein Ranger erzählte uns, dass in den letzten Tagen zwei Panther auf dem Tamiami Trail überfahren wurden. An der traurigen Statistik ändern auch die vielen Hinweisschilder nichts. 


Eine weitere enorme Bedrohung für das komplette Ökosystem kommt verrückterweise aus der Tierwelt selbst. In den 80er Jahren tauchte die Tigerpython in den Everglades auf. Dort gehört die in Asien beheimatete Riesenschlange jedoch nicht hin. Aber irgendwelche Idioten setzten die süssen, kleinen Terrarienbewohner dort aus, nachdem sie nicht mehr ins Terrarium passten oder den Nachbarn verschlungen hatten. Ups! "Böse böse Pyton, du! Ich hab Dir schon tausend Mal gesagt: hör auf, die Nachbarn zu verschlingen!" Ohne natürliche Feinde benahmen sich die Pythons in den Everglades wie eine Horde hungriger Hunnen im Münchner Nobelrestaurant "Tantris". Ihre Zahl - die der Pythons, nicht der Hunnen - wird mittlerweile auf mehr als 10.000 geschätzt. Über 90 % der Waschbären, Opossums oder Rotluchse sind bereits verschwunden, was auf den Tigerpython zurückgeführt wird. Ist kein Nachbar zur Hand, greifen Tigerpythons sogar Alligatoren an. 

Quelle: Wikipedia
Eine der größten Touristenattraktionen sind die "Airboat Touren". Die propellergetriebenen Sumpfboote können mangels Schiffsschraube oder (Unterwasser-) Ruder über extrem flaches Wasser düsen. So mitreissend eine Airboat-Höllenfahrt durch die Everglades auch ist - wir hatten vor ein paar Jahren das Vergnügen - die Motoren der Propeller verursachen einen Heidenlärm. Im Dröhnland der Airboats verkümmern die Everglades zum Action-Tourismus. Nicht dass ich etwas gegen Action hätte, aber Propellermotoren haben in den Everglades soviel verloren wie Presslufthämmer in der Oper.


Der Tamiami Trail trifft an der Ostküste auf die südlichen Ausläufer von Miami. Das bekamen wir schmerzhaft zu spüren, als wir auf einem Schwebebalken-Seitenstreifen einen dicht befahrenen Highway mit jeder Menge Schwerverkehr nach Süden folgten. 30 Kilometer lang pure Hölle. Heute, und damit einen Tag zu spät, habe ich erfahren, dass es etwas weiter stadteinwärts einen Radweg gegeben hätte! ARRGGHHHHH. Zu spät. Wir haben uns gestern Kilometer um Kilometer nach Süden gefürchtet und schließlich unsere "Warmshowers"-Gastgeber Jim und Ju unbeschadet erreicht. 


Dort bekamen wir nicht nur die versprochene warme Dusche, sondern sogar ein eigenes Zimmer. Unsere Räder schliefen im Wohnzimmer. Jim und Ju beherbergen viele Radler. Sie sind herzlich, hilfsbereit, unkompliziert und kontaktfreudig. Jim bringt es auf den Punkt, als er sagt: "We are easy going". Dann lacht er und zuckt mit den Schultern, als wolle er sagen "nicht der Rede wert". Wir laden die beiden zum Abendessen ein. Als ich ein italienisches Restaurant vorschlage, stellt sich heraus, dass es gleich in der Nähe einen "Olive Garden" gibt. Freunde.... ich kann euch sagen. Olive Garden bietet exquisite italienische Küche zu vernünftigen Preisen, ein Oase der Köstlichkeit im Lande der kulinarischen Diaspora. Suppe bzw. Salat gibt's "all you can eat" als kostenlose Zugabe zum Hauptgericht. Außerdem - ebenfalls "all you can eat" - werden "breadsticks" gereicht, die man am ehesten als frisch gebackene Semmel in Form einer Brezenstange beschreiben kann.

Jim und Ju erzählen uns, dass sie nächste Woche eine Gruppe mit 12 Radlerinnen erwarten. Dafür räumen sie das halbe Haus um bzw. leer. Die Personen schlafen im Sardinenstil im Wohn- und Gästezimmer, die Räder werden in der Küche gestapelt. Das ist leider nötig, denn hier im Süden Miamis wird so ziemlich alles über Nacht geklaut, was klaubar ist. Vor zwei Wochen erst wurde während eines Kurzurlaubs in ihr Haus eingebrochen und alles, aber auch alles geraubt, was nicht niet- und nagelfest war. Unter anderem die komplette Gitarrensammlung von Jim. (Oli, du weißt, das das bedeutet!) Die Diebe nahmen selbst die Bilder von den Wänden, offenbar in der Hoffnung, einen Tresor dahinter zu finden. Was wieder einiges über die Intelligenz der Verbrecher aussagt: die Wände sind maximal 7 Zentimeter dick. 

Till Senn

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