Dienstag, 29. Oktober 2013

Telegramm aus Mexiko

Bilder zum Vergroessern anklicken


Notebook kurz vor Abflug Austin gestohlen oder (selber schuld) kurz unbeaufsichtigt gelassen und von Offiziellen konfisziert. Nach Rúeckkehr in die USA wird sich das Raetsel loesen. Sind nun auf Internet-Cafes angewiesen, die es in Mexiko nicht an jeder Ecke gibt. Mit uns kam (was sonst) die Regenzeit hierher. Kiemenentwicklung schreitet voran und wir absolvieren jetzt Schwimm- und Tauch- statt Radtraining.  Erster Tankwart hat uns mit altem Trick reingelegt und sich 20 Euro erschwindelt. Werde dem naechsten den 500er-Schein in die Handflaeche tuckern. Bin gespannt, wie er den dann wieder gegen einen 100er austauscht und meint, ich haette ihm 400 zuwenig gegeben. Ihr seht, der Mexiko-Trip hat vielversprechend begonnen. Auch das erste Hotel hat diesen Trend bestaetigt. Das gebuchte Zimmer waere eine Abstellkammer ohne Fenster gewesen. Upgrade zur Suite bescherte uns ein Zimmer mit diesem Ausblick:


Aber der Eindruck taeuscht. Nein, nicht der Eindruck vom Ausblick. Der war genau so haesslich wie es das Bild zeigt. Aber die .. aeh.. Suite war ordentlich, wenn man davon absieht, dass das Wasser etwa 2 cm hoch stand. Regen und so. Offenbar sind die Architekten oder Maurer in Mexiko von der Regenzeit genauso ueberrascht wie die Bundesbahn im Winter vom Schneefall oder im Sommer von der Hitze. Wahrscheinlich kippen die Jungs (allesamt) um, wenn man ihnen erzaehlt, dass gegen Abend mit zunnehmender Dunkelheit zu rechnen sei.

Weil es optisch so gut zum ersten Foto passt, noch schnell ein Bild von einer Fahrradwerkstatt. Das nur als hilfreicher Hinweis fuer diejenigen, die das nicht gleich auf den ersten Blick erkennen.


Die Anreise an einem Samstag machte mir deutlich, dass ich vor 35 Jahren absolut begeistert gewesen waere. Nacht RambaZamba die ganze nacht. Die Mexikaner fuerchten sich vor der Dunkelheit. Jedenfalls will hier niemand ins Bett, bevor es hell wird und weiss das akustisch durchaus zu untermalen. "Unz, Unz, Unz" droehnt es aus Lautsprechern, die sie selbst noch an Telefonmasten nageln, damit sich keiner fuerchten muss. Andererseits - Mexiko ist nicht als open air Seniorenwohnheim bekannt und schlafen koennen wir ja in 2 Wochen wieder. Bis dahin Fiesta Mexikana ("unz, unz, unz...")

Die Hauptattraktion in Mexiko sind Ruinen. Um Missverstaendnisse zu vermeiden: ich spreche nicht von der Gegenwartsarchitektur, sondern, sondern den Ruinen der Maya, die teilweise tief im Dschungel versteckt sind. Vom Parkplatz muesste man die letzten 2 Kilometer entweder gehen (Hermann) oder sich fahren lassen, wie diese Dame hier. Raeusper.


Der Ehrlichkeit halber sei angefuegt, dass ein tropischer Regenguss von wahrhaft biblischem Ausmass niederging und nur ich in T-Shirt und Sandalen 2 Kilometer stromaufwaerts watete, waehrend der Rest der Menschheit nach einem Schirm Ausschau hielt. Nur Helden und Trottel laufen im tropischen Regen schirmlos und singend durch den Urwald. Aber, Freunde, ABER! Dieser Spaziergang durch mexikanischen Dschungel bei prasselndem Regen mit Warmbadetemperaturen zaehlte zu den Highlights meiner bisherigen Reiseerlebnisse. Um nichts in der Welt haette ich da mit Angie tauschen wollen.


Das zweite Hotel am folgenden Tag sah wesentlich vielversprechender aus, lag direkt am Strand des karibischen Meeres und hatte ein kleines Aussichtstuermchen mit Aussichtsplattform nur fuer uns.


Ein bezaubernder Sonnenuntergang vor Dschungelkulisse und ein traumhaftes Abendessen direkt am Strand liessen die Hoffnung auf einen versoehnlichen zweiten Tag in die Hoehe schnellen.


Aber es kam, wie es kommen musste: "UNZ, UNZ, UNZ". Samstag hin oder her. Fiesta ist immer und ueberall. Um 21:30 begann (B.E.G.A.N.N.) die Live Band in der Bar direkt gegenueber mit ihrem umfangreichen Repertoire. Kurz danach fiel der Strom aus. Aber nur in unserem Hotel. Sonst nirgendwo und schon gar nicht gegenueber. Keine Kuehlung mehr, aber karibische Temperaturen mit Luftfeuchtigkeit von 90% und mehr trieben uns auf das schoene Aussichtstuermchen. Muecken vertrieben uns kurz danach von dort. Schlafsack holen und einmuemmeln und im Freien in einer Haengematte schlafen bzw. wenigstens doesen. Dann kam der Regen. Im Gegensatz zur Band von nebenan hatten wir aber kein Dach ueber dem Kopf. Also... wieder rein ins Sauna-Hotelzimmer, Fenster auf, UNZ, UNZ, UNZ und trotzdem noch schwitzen wie verrueckt und... UNZ, UNZ, UNZ... So um 04:20 bin ich - glaube ich - kurz eingenickt. Ab 05:10 Uhr waren ich wieder wach. Nur noch 12 Mal Nicht-Schlafen.

Kaum hatten wir am dritten Tag in Mexiko die Kueste - und mit ihr den UNZ-Tourismus - verlassen, besserte sich die Sache schlagartig. Bevor ich mich aber zu frue freue, warte ich aber noch einen Tag ab, ob sich der Trend bestaetigt. Bis dahin wiederhole ich den Satz "Schlafen ist bloed, Ruhe ist langweilig, Stille ist furchtbar" als endloses Mantra.

jHasta Pronto

Hermanos

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Fast-Halbzeitbilanz

Bilder zum Vergrößern anklicken


Wir sind hier

Knapp die Hälfte der kompletten Tour liegt hinter uns. Wie ja schon mehrfach angekündigt, müssen wir nun eine Zwangspause außerhalb der USA verbringen, da wir nur 89 Tage am Stück im den Staaten verweilen dürfen. Sofern mir das Internet auch in Mexiko treu bleibt, gibt es natürlich auch von dort Bilder und Videos. Wenn nicht, geht's erst am 10. November wieder weiter. Dann kletten wir nämlich wieder auf die Räder. Falls ich jemandem zum 10. November einen e-Mail Weckruf senden soll, genügt ein kurzes Mail an Hermann.Plasa@googlemail.com.

Fast-Halbzeit Statistik:
  • Durchquerte Bundesstaaten: Kalifornien, Arizona, New Mexiko und (40% von) Texas
  • Zurückgelegte Strecke: 2.833 Kilometer
  • Stunden im Sattel: 183
  • Erklommene Höhenmeter: 17.165
  • Radel-Regentage: 2
  • Sonstige Regentage: 5
  • Sonnentage: 70
  • Krankheitstage: 0,5
  • Höchster Punkt der Reise: Emory Pass (New Mexiko), 2.500 Meter
  • Längste Etappe: 132 Kilometer
  • Niedrigste Temperatur:  5 °C
  • Höchste Temperatur: 49 °C
  • Reifenpannen Angie: 2
  • Reifenpannen Hermann: mindestens 15 (hab irgendwann zu zählen aufgehört)
Am Freitag verabschieden wir uns vorübergehend nach Mexiko. Bis dahin werden wir von Angies Bekannten gefüttert und gemästet, auf dass wir jedes auf den bisherigen 2.833 Kilometern abgenommene Gramm wieder zunehmen. Tja, und dann kommen ja noch 14 Tage mexikanisches Heilfasten dazu. Jessas! Gut, dass ich mein Rad in Austin komplett überholen und mit nagelneuen Schwalbe Marathon Plus TOURING ausstatten ließ. 

Ach ja, und wir waren vorgestern abend in einer der letzten, echten texanischen "Dance Halls" und haben dort ein Country & Western Live Konzert bestaunt. So richtig wie im Kino war das, nur eben echt. Der Kerl hatte ein unerschöpfliches Repertoire und wenn - was häufig vorkam - ihm jemand einen Zettel mit einem Musikwunsch (zusammen mit einem Bier) zukommen ließ, lieferte er diese Musikwünsche aus dem Eff-Eff, garniert mit witzigen Geschichten. Erstklassige Allein- und Gemeinschaftsunterhaltung war das, selbst für einen wie mich, der ja auch gerne Metallica hört.

Bilderauswahl der letzten Tage...



Zwei unterschiedliche Menschen, zwei unterschiedliche Getränke



Bis bald

Till Senn


Samstag, 19. Oktober 2013

San Antonio, TX

Bilder zum Vergrößern anklicken


Texas: Von Hondo nach San Antonio (Ost): 84 Kilometer

Stellt euch vor, ihr müsst von Landsberg am Lech nach Hohenlinden. Wer die Strecke nicht kennt, möge kurz googeln. Also: ihr steigt in Landsberg ins Auto und fahrt auf der A-96 nach München. Am Autobahnende in Sendling biegt ihr wider besseres Wissen dennoch rechts auf dem Mittleren Ring (Süd) ab, quält euch über den unseligen Luise-Kiesselbach-Platz (für den man auch Futur III einführen müsste), fahrt dann durch das Brudermühltunnel, folgt der Candidstraße, die zur Chiemgauer Straße und schließlich dem Innsbrucker Ring wird. So geht's um die komplette Stadt rum. Beim ehemaligen Stahlgruber (den kennt jeder Münchner meiner Generation; für alle anderen: Einsteinstraße-Ecke-Mittlerer Ring) biegt ihr dann rechts in die Töginger Straße (A94) ein und bleibt auf der A94 bis zur Ausfahrt "Mühldorf / Passau". Dort verlasst ihr die Autobahn und fahrt auf der B-12 nach Hohenlinden. 

So - und jetzt nochmal zurück zum Ausgangspunkt "Landsberg". Ihr nehmt diesmal nicht das Auto, sondern das Fahrrad. Ansonsten bleibt alles unverändert; ihr fahrt denselben Weg bis Hohenlinden, nur eben auf dem Fahrrad. Damit wißt ihr so ziemlich alles über unseren heutigen Tag, nur dass unser Landsberg "Hondo" hieß, München "San Antonio" und Hohenlinden "Converse". Nun, nicht ganz! Mit dem Fahrrad gibt es ein paar Besonderheiten. In den USA wird die rechte Spur bei Ausfahrten zur zwingenden Rechtsabbiegerspur. Als Radler fährt man auf dem Pannenstreifen also rechts von der Ausfahrtsspur. Diese gilt es dann aber zu überqueren, weil wir ja die Autobahn nicht verlassen möchten sondern weiter auf dem Pannenstreifen radeln wollen, der auf einmal aber eine Spur weiter links ist. Also eine Lücke im dichten Großstadtverkehr abwarten, dann über die Ausfahrtsspur huschen und auf der Hauptautobahn (teilweise 4-spurig) wieder auf dem Pannenstreifen weiterfahren. Ungefähr 700 - 900 Meter. Dann folgt die nächsten EINfahrt von rechts. Wieder eine Lücke abwahrten, über die Einfahrtsspur huschen und auf dem Pannenstreifen der rechten Spur weiterradeln, bis in ca. 500 - 700 Meter die nächste Ausfahrtsspur kommt. Das Ganze wird so richtig lustig, wenn ZWEI Spuren zur Ausfahrtsspur und ZWEI Spuren werden und ZWEI Spuren in die Autobahn münden. Bei dichtem Großstadtverkehr ist die Corrida der Dämonen eine Wellnesspackung dagegen. Weil besagte Corrida jetzt auch wieder nur der Radlhans und mein Bruder Tomm kennen, hier das Titelbild zum Grusel-Groschenroman, einem literarischen Highlight meiner Jugend: http://tinyurl.com/ozwhkba

Um dem Radlhans und dem Radlpeter zuvorzukommen: ich jammere nicht, ich analysiere! Wir sind heil durch San Antonio, und das ist letztlich alles, was zählt. Aber öfter als alle 54 Jahre brauche ich das nun wirklich nicht. Ach ja, der texanische Bauhof. Nach dem Motto "Tagträumen verboten" experimentiert man hier mit Gletscherspalten der besonderen Art. Ich wüßte zu gerne, wieviele Radler in diesen Teer-Gletscherspalten schon auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind. "Touching the Void", kann ich da nur sagen. Wer das Buch bzw. den Film nicht kennt, dem sei es ans Herz gelegt (Deutscher Titel: "Sturz ins Leere")


Till Senn

Freitag, 18. Oktober 2013

Abspulen

Bilder zum Vergrößern anklicken


Texas: Von Uvalde nach Hondo (70 Kilometer)
Wir vermeiden das "Texas Hill Country", indem wir südlich davon auf dem Hwy 90 bleiben. Statt Allgäu haben wir zwar Schleswig Holstein, aber eben auch Schwerverkehr statt Idylle, da der Hwy 90 direkt nach San Antonio führ. Was solls - wir wollten es so und spulen die Kilometer nach San Antonio eben ab. Zwei Tage noch, dann folgt eine durch das amerikanische Recht erzwungene 3-wöchige Unterbrechung. Dazu aber mehr zu gegebener Zeit. Es folgen die zwei Bilder des Tages, zu denen es ein wenig zu sagen gibt.


Mittagessen in Texas. Eine Tankstelle muß als Restaurant herhalten, ein Muffin (Blueberry) bzw. ein KitKat als Hauptgang und ein Styroporbecher mit "brown water" (die Amis sagen Kaffee dazu) als Getränk. Noch ein Wort zur Schwangerschafts-Sicherheitsweste: Wir fahren heute viele Kilometer entlang eines vierspurigen Hwy 90, aber wir (Radler) haben nur einen schwebebalkenbreiten Seitenstreifen. Die Trucks donnern mit 80 Sachen hautnah an uns vorbei. Damit sie auch wirklich vorbei und nicht über uns fahren, habe ich mir die XXXXXX-L Weste übergeworfen. Die Rechnung ist aufgegangen und die meisten Trucks scheren sogar frühzeitig auf die Überholspur aus. Sobald ich die Weste ausziehe (empirisch nachgewiesen), sehen die Trucker uns erst viel später und die Überholmanöver fallen deutlich... äh... brisanter aus. Mit der Weste habe ich 4 Schichten an: Unterhemd, Radtrikot, Windjacke und Schwangerschafts-Sicherheitsweste. Ergo tropfe ich mal wieder wie ein Kieslaster. Hilft nix: Sicherheit geht vor und die Aussicht auf ein schönes Gipfelbier hilft sehr.

Das wären Benzinpreise, oder? Ganze 9 Cent für die Gallone, also 9 Cent für fast 4 Liter! Kein Wunder, dass diese Tankstelle Pleite ging.



Donnerstag, 17. Oktober 2013

Ausgeweint

Texas: Von Del Rio nach Uvalde (116 Kilometer)
Der Himmel hat sich vorerst ausgeweint. Die Ausläufer des tropischen Sturms "Octave", die uns zwei Tage in Del Rio festhielten, haben sich verzogen und mit ihnen auch die Regenwolken. Es herrscht wieder eitel Sonnenschein und wir konnten die 116 Tageskilometer problemlos abspulen. 


Einziges Manko war die grausige Rumpel-Pumpel Straße, genauer gesagt der Rumpel-Pumpel-Seitenstreifen. 116 Kilometer welliger Rollsplitt kosten Kraft, Tempo und Sitzfleisch. Das waren 7 Stunden Schnitzel-Klopfen.... Ich schlafe heute auf dem Bauch. 


Aber ich will nicht klagen, denn rumpel-pumpel hin oder her: wir hatten einen breiten Seitenstreifen nur für uns, und das ist letztlich das Einzige, das zählt. Und mehr gibt es auch nicht zu sagen oder zu zeigen. Als Entschädigung eine alte, aber immer noch schöne Schlagzeile aus www.der-postillon.com: "Neue Zeitform Futur III eingeführt, um Gespräche über Berliner Flughafen zu ermöglichen"

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Videorückblick Nr. 8

Zwei Tage Schlechtwetter bedeutet Zeit für zwei Videorückblicke. Der zweite davon und insgesamt Video Nummer 8 erzählt den Weg vom Emory Pass (NM) zum "No Country For Old Men" (TX): Ein englischsprachiger Beginn, ein trockener, scharfer und anstrengender Mittelteil und ein dramatischer Schluss.


Dienstag, 15. Oktober 2013

Videorückblick Nr. 7

Wir hängen in Del Rio wegen schlechten Wetters fest. Das verschafft mir die Zeit, mich wieder einmal um die Videos zu kümmern. Mit etwas Pech (für uns) gibt's morgen schon das nächste Video...


Montag, 14. Oktober 2013

Ausgewüstet...


Bilder zum Vergrößern anklicken


Comstock - Del Rio (51 km)
Wir haben Del Rio erreicht, ohne zu ertrinken. Mehr als 200 Kilometer straffer Gegenwind, gefühlte 3 Millionen Hügel - und alle Wüste(n) dieser Tour liegen hinter uns. Über 2.000 Kilometer sind wir durch diverse Wüsten Kaliforniens, Arizonas, New Mexikos und Texas' geradelt. Das ist nun vorbei und ich weiß nicht recht, ob ich mich freuen oder traurig sein soll. Ich liebe die Wüsten! Aber ich hasse den Gegenwind. Da ich es eh nicht ändern kann, belasse ich es einfach besten beim sowohl-als-auch. Östlich von Del Rio wird es grün und Louisiana ist nur noch 1.100 Kilometer entfernt. Ein Katzensprung (räusper). 

Nach dem gestrigen Freischwimmen (an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an den Radelhans und seine Hinweise auf meine Rechtschreibfehler infolge Muskel- und Hirnerschöfpung) sah es heute morgen nicht sehr vielversprechend aus. Das scheinbare Fehlen des oberern Bildrandes ist auf das Grau-in-Grau des Himmels zurückzuführen. Die Wolken hingen tief und die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass ich mir wieder einmal Kiemen statt Lungen wünschte.


Aber die lumpigen 51 Kilometer bis Del Rio wärren wir notfalls geschwommen. Ha! Wäre doch gelacht. "Never surrender", sagt der Radlhans, und recht hat er. "Failure is not an option", sagt die NASA, und recht hat sie. "Hör auf zu reden und fahr los!", sagt Angie, und recht hat sie. Und so fuhren wir los. Es folgt die Chronik eines angekündigten Regens, der jedoch ausblieb. Hinweis: Die Schilder zeigen MEILEN, nicht Kilometer. Den strammen Gegenwind noch einkalkulieren. So Radlhans & Co... jetzt dürft ihr lästern :-)




Lasst mich noch ein Wort zum texanischen Bauhof anfügen. Mit "Bauhof" meine ich alle, die in Amerika irgend etwas bauen, ok? Zum Beispiel Straßen. Der Belag der letzten 400 Kilometer sah so aus:


Ich bin zwar weder Facharzt noch Bauhofer, aber wenn mich nicht alles täuscht, nennt man das "Splitstraße". Als 14-jähriger radelte ich nachmittags nach der Schule nach Burgkirchen ins Freibad (JAAAAA, meine lieben Jugendlichen, wir radelten damals ins Freibad. Ohne e-bikes! Mit eigener Muskelkraft. Müttertaxis waren rar.) Zwischen Hirten und Burgkirchen war Splitstraße damals der letzte Schrei. Zu jener Zeit spielten wir mit den Dinosaurier und radelten ohne Murren und Zaudern ACHT Kilometer von Hirten nach Burgkirchen und zurück. Splitstraßengerumpel? Kein Problem. Heute sehe ich das anders. Diese letzten 400 Kilometer Rumpel-Pumpel reichen mir. Freunde, dieser Belag kostet nicht nur Nerven, sondern auch Kraft. Was da an Reibungswiderstand zum Gegenwind und den Hügeln noch dazukommt, geht auf keine Kuhhaut. Aber der texanische Bauhof hat kein Erbarmen mit Radlern. Im Gegenteil! Man hat offenbar ein Programm für künstlerisch unterentwickelte texanische Bauhofmitarbeiter entwickelt. Jedenfalls kann ich mir das elende Gebatze auf den Straßen nicht anders erklären. Alle paar Meter (über Hunderte von Kilometern!!!!) holpert das Rad über diese Teer-Würste:


Kreuz und quer und links und rechts und dings und dungs ziehen sich diese Linien über Straße und Seitenstreifen. Nach langer und reiflicher Überlegung kam ich zum einzig möglichen Schluss: ein Kunst-Programm. Fingerfarben für Bauhofer, nur dass sie statt schwarzer Farbe Teer verwenden dürfen. Ich sehe die Jungs vor mir. Ins Programm kommt nur, wer beim Lesen die Lippen bewegt. Dann werden Eimer verteilt, die Anfänger bekommen erst noch einen Schnellkurs im Kartoffel-Stempel-Basteln, aber dann lässt man sie mit vollen Eimern auf die Straßen los, vorzugsweise auf den Highway 90. Und da sitzen, knien und liegen sie dann herum und batzen, dass es eine Freude ist. Jedenfalls für die Batzer. Für den Radler wird des Batzers Freud zum Leid. Rumpel-Pumpel-Rumpel-Pumpel.... 400 Kilometer lang. Freunde, bei Gegenwind und Hügel werden 400 fingerfarbenverbatzte Kilometer zur Reise um die Erde, das kann ich euch sagen. Ein großes Lob an dieser Stelle an meinen Zahnarzt; Auf dem Highway 90 hat sich nicht eine einzige Krone gelockert. Tja Freunde, und so näheren wir uns unaufhaltsam Austin, Texas und der Halbzeit dieser Tour. Im Moment sind wir genau hier:


Till Senn


Sonntag, 13. Oktober 2013

No country fo old men


Bilder zum Vergrößern anklicken

Fort Davis - Marathon - Sanderson - Langtry - Comstock (Texas)
Herrschaften, ich bin müde und geschafft. Bitte verzeiht mir, dass ich heute keinerlei Korrekturlesung vornehme sondern nach dem letzten Buchstaben auf "Veröffentlichen" klicke. Es ist 23:02 Uhr und das Bett hat eine magnetische Anziehungskraft, der ich nicht mehr lange widerstehen kann."

Zwischen Fort Davis und Del Rio liegen über 400 Kilometer, aber nur drei Städte und zwei Siedlungen mit Übernachtungs- bzw. Einkaufsmöglichkeit. Fast hätten wir es in den geplanten 4 Tagesetappen nach Del Rio geschafft. Fast! Aber dann kam zum nicht enden wollenden Gegenwind, der ebenfalls nicht enden wollenden Rumpelstraße und den erst recht nicht enden wollenden Hügeln der Regen. Und der hat uns dann doch den Rest gegeben und wir sind pudelnass, hungrig und ein wenig frustriert in Comstock, Texas gestrandet.

So eklig der heutige Tag auch war (so richtig zum alles Hinwerfen und beleidigt mit dem Kopf an die Wand rennen), so traumhaft waren die ersten beiden Tagesetappen. Den Anfang machte die Strecke von Fort Davis nach Marathon. Nach einem faulen und erholsamen Pausentag genossen wir die weiterhin wildwestromantischen Canyons zu Füßen der Puertacitas Mountanis.



Angie, die meist weit vor mir fährt, bleibt plötzlich stehen, läuft ein paar Schritte zurück und guckt auf die Straße. Was sieht sie da? Das da:


Meine Schlangen- und Spinnenangst ist ja hinlänglich bekannt. Alles, was 8 Beine hat und einenen größeren Körper als ein 1-Cent-Stück, ist für mich eine Monsterspinne. Diese Monsterspinne läuft gemütlich auf der Fahrbahn dahin. Weil Angie und ich am Straßenrand nahe der Monsterspinne stehen, machen vorbeifahrende Autos einen Bogen um uns - und um die Monsterspinne. Unsere Bemühungen, das Tier in den sicheren Straßengraben zu scheuchen, enden damit, dass sie sich hinsetzt und überhaupt nicht mehr vom Fleck rührt. Also zerre ich mein Fotostativ vom Gepäckträger und stupse das dämliche Ding sooft an, bis es sich endlich in den Straßengraben verzieht, wo sie sich uns noch einmal kurz zuwendet und einen beleidigten Blick zuwirft. DAS ist der Dank! Da überwindet man seine Angst und nähert sich dem Monster auf weniger als 1 Meter, rettet dem suizidalen 8-Beiner das Leben - und DAS ist der Dank! Ein beleidigter Blick. Nun ja, es ist DIE Spinne! Tom (Bruder Tom), was hättest Du getan :-)

Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, dass ich 1 - 3 Platten pro Tag habe. Schläuche flicken bzw. auswechseln kann ich mittlerweile im Schlaf und wenn ich wach bin, bleibe ich dazu nicht einmal mehr stehen. Aber erstens nervt das auf die Dauer gewaltig und zweitens sehen die Reifen mittlerweile aus, als hätten sie die Pocken. Das Profil ist komplett weg, dafür Löcher und kleine Krater zum Abwinken, aus denen ich Glassplitter, Dornen, Nägel und Draht rausgepuhlt habe. Bis Austin sind es noch knapp 1.000 Kilometer. Gefällt mir nicht. Aber in Alpine, keine 50 Kilometer von Fort Davis entfernt, wohnt der "Bike Man", ein Radladen, den wir auch schnurstracks ansteuern. Und siehe da, der bike man hat "Schwalbe Marathon Plus" Reifen in der passenden Größe. Eine Seltenheit. Selbst größere Radläden zucken nur die Achseln, wenn ich "Schwalbe Marathon Plus" sage. Egal - ich brauche zwei davon und der bike man hat... zwei Stück. Wunderbar. Dazu noch 4 Ersatzschläuche und 20 selbstklebende Flicken. Ich bin gerüstet für die nächsten... 2 Tage. Vor dem Radladen treffen wir auf einen Tourenradler mit dem wohl ausgefallensten Rad, das mir bislang begegnet ist: Ein Liegerad aus Bambus!


Und weiter gehts auf dem Hwy 90, und zwar in der Richtung, die hier NICHT zu lesen ist: EAST. Die Stadt Marathon ist das Tagesziel. 


Dann sehe ich dieses ... Ding am rechten Straßenrand:


Zuerst  hielt ich es für ein Kunstwerk, dann für einen Gag, aber schließlich sehe ich die Jahreszahlen 1952 - 2012. Hm... wer ist, genauer gesagt, wer WAR Rene Joseph Ulmenschneider? Eine kurze Recherche im Internet bringt die traurige Wahrheit ans Licht: Rene Joseph Ulmenschneider lebte in Marathon und war ein passionierter Radfahrer. Bis ihn an exakt dieser Stelle eine angetrunkene Autofahrerin über den Haufen fuhr. 

Nach 92 flotten Kilometern erreichten wir Marathon schon am mittleren Nachmittag. So kann es weitergehen.


Zum Abendessen packen wir den Kocher aus. Der Dorfladen hatte Pesto! Unglaublich
Auch der nächste Tag und seine 90 Kilometer von Marathon bis Sanderson gehörten zu den Leckerbissen dieser Tour: einsam, endlos, friedlich, still. Mit "still" meine ich die Abwesenheit von Motoren- oder sonstigem Zivilisationslärm. Bergsteiger wissen, wovon ich rede, Motorradfahrer nicht (solange sie Motorrad fahren).






Die Probleme begannen, als wir Sanderson verließen und die 132 Kilometer zum Seminole Campground in Angriff nahmen. "Rolling Hills", übersetzt "Allgäu", machten das Vorwärtskommen schwer und zunehmender Gegenwind zog uns langsam, aber sicher den Zahn. Bei einer wind- und geländebedingten Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 - 12 Km/h ist die Sache leicht auszurechnen: Verfügbar sind 12 Stunden Zeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Für 132 Kilometer brauchst Du mit 12 km/h 11, mit 10 km/h 13 Stunden. Und zwar Netto-Fahrzeit. Dazu kommen die Dehn, Erholungs- Eß- und Trinkpausen. Schlußfolgerung: Geht nicht! Was tun? Hoffen, dass sich was ergibt oder notfalls das Zelt halt irgendwo aufschlagen und ungeduscht ins Zelt kriechen.

Der amerikanische Autor Cormac McCarthy hat "No country for old men" geschrieben. Das Buch wurde 2007 von den Cohen Brüdern verfilmt. In den Hauptrollen Tommy Lee Jones als Sheriff und Javier Bardem als eiskalter Killer. "No country for old men" spielt genau in dieser Gegend, durch die wir heute radeln. Tommy Lee Jones alias Tom Bell ist Sheriff von Sanderson, einer sterbenden Kleinstadt mitten im texanischen Nirgendwo, einer sterbenden Kleinstadt, in der wir vorgestern in einem zweitklassigen Motel übernachteten. Cormac McCarthys Bücher sind wie diese Landschaft, durch die wir uns nun zwei-einhalb Tage mühsam vorangekämpft haben: erbarmungslos, schonungslos, hart und von einer spröden Schönheit, wie sie nur Wüsten haben. Ich kann jedem Leser sowohl das Buch, als auch den Film empfehlen. ABER Cormac McCarthy schreibt keine Geschichten für den kleinen Hunger zwischendurch. Seine Bücher sind schwer- bis schwerstverdaulich. In der Eröffnungsszene des Films erzählt Sheriff Bell und man sieht dazu die Bilder dieser Landschaft. Es spielt keine Rolle, ob man das texanische Englisch von Tommy Lee Jones versteht oder nicht. Der Klang passt zur Landschaft und die Bilder sprechen sowieso für sich. Am Ende dieses Blogbeitrags folgt dieses Video. Jetzt aber - ohne große Worte - Bilder von unserem Weg durch "no country for old men."

fast 200 Kilometer auf-ab-auf-ab-auf-ab...

Unterwegs tote Siedlungen. In den Autos liegen die Dinge, die drin lagen, als der Besitzer zum letzten Mal ausgestiegen ist, das Auto einfach stehen gelassen und sein Haus für immer verlassen hat. 



Nervlich und körperlich ordentlich mitgenommen vom Gegenwind und den endlosen Hügeln gibt uns der Regen den Rest. Ein erster Guß durchnässt uns im freien Gelände bis auf die Haut - regendichte Klamotten hin oder her. Da hätten wir genauso gut Tempotaschentücher auf der Haut tragen können. Wir rollen ein paar hundert Meter zurück zu einer verfallenen Tankstelle, wo wir trockene Klamotten anziehen.

In einer verfallen Tankstelle auf der Suche nach trockenen Klamotten
Dem Gegenwind konnte auch dieses Dach  nicht standhalten
Es ist bereits 13:00 Uhr und wir haben noch 80 Kilometer vor uns und nur noch einen Satz trockene Klamotten in den Taschen. Also los... und 300 Meter vor der 20 Kilometer weiter gelegenen Siedlung Comstock erwischt es uns wieder in freiem Gelände. Tropfnass erreichen wir Comstock, sehen uns ratlos um - und erblicken ein Motel. Tja, und in dem sitzen wir nun und lecken unsere Wunden. Wir durften den Trockner benutzen, um die (ungewaschenen) Sachen wenigstens wieder anziehen zu können. 


Für morgen ist 40% Regenwahrscheinlichkeit vorhergesagt. Bis Del Rio sind es noch 60 Kilometer durch "no country for old men." Die werden wir auch noch schaffen. Irgendwie. In Del Rio haben wir alle Wüsten hinter uns. Rund 2.000 der bisherigen 2.400 Kilometer dieser Tour waren Wüstenkilometer. 

Und hier ist sie, die Eröffnungsszene von "No country for old men." Immer dran denken: Hier sind wir die letzten paar Tage durchgeradelt.