Samstag, 30. November 2013

Am Golf von Mexiko

Bilder zum Vergrößern anklicken



Nach exakt 4.128 Kilometern haben wir in Gulfport, Mississippi erreicht und sind am Golf von Mexiko. Auch wenn dieses Meer nur eine letzte Zwischenstation auf unserem langen Weg vom Pazifik zum Atlantik ist, so war es doch ein besonderer Augenblick, hier anzukommen in die blaue Unendlichkeit zu gucken. 

Sehr erfreulich: die Temperaturen scheinen sich langsam von ihrer Erkältung zu erholen.


Die Strecke heute sah die ersten 50 Kilometer so aus: nicht sehr ansprechend, dafür aber (meistens) ein breiter Seitenstreifen (Shoulder).


Während einer Pause näherte sich ein Auto mit Blaulicht, wurde langsamer und dann stand ein Dienstfahrzeug des Stone County Sheriff's Department mit laufendem Blaulicht vor uns. Deputy Shane Ogburn stieg aus und ging auf uns zu. Ich überlegte fieberhaft, ob wir irgend etwas rechtswidriges getan hatten, aber mir fiel nichts ein. Alles legal, alles in Ordnung, alles im grünen Bereich... oder? "Hello, how are you? Just want to make sure you are save and everything is ok."  Ah! Deputy Ogburn wollte nur sichergehen, dass alles in Ordnung ist, dass wir keine Probleme haben. "You are not in trouble", versichert er uns, weil wir offenbar immer noch ein wenig unsicher dreinblicken. Schnell entwickelt sich eine nette Unterhaltung und Deputy Ogburn entwickelt reges Interesse an unserer Tour. "Do you have a blog?", will er wissen. "Sure", antworte ich und drücke ihm eine Visitenkarte mit den Tourdaten in die Hand. Dann frage ich ihn, ob ich ein Bild von ihm und Angie machen darf. Ich darf.


Zum Abschied schütteln wir uns alle die Hände. Dann zieht er seinerseits eine Visitenkarte aus der Tasche, legt sie auf die Motorhaube, zückt einen Kugelschreiber, schreibt ein wenig und drückt mir die Karte in die Hand. Drauf steht: "Viel Glück und sichere Reise". Wir sind gerührt. Die Begegnung mit Deputy Shane Ogburn war wirklich ein Highlight.


Morgen werden wir schon die Staatsgrenze nach Alabama überqueren und spätestens übermorgen wollen wir in Flordia sein. In diesem Sinne noch ein Gute-Nacht-Foto aus Biloxi, Mississippi.



Till Senn

Freitag, 29. November 2013

Hello Mississippi

Bilder zum Vergrößern anklicken



Erneut starteten wir sehr früh und bei Minusgraden. Kurz hinter Bogalusa überquerten wir die Staatsgrenze von Louisiana nach Mississippi. Schlagartig endete auch der herrliche 3 Meter breite Seitenstreifen, der uns die letzten knapp 300 Kilometer so ans Herz gewachsen war. Aber das hatte ich von meinen bisherigen Touren noch in Erinnerung, dass Mississippi und Alabama an Teer sparen, wo immer das möglich ist. Also wichen wir auf wenig befahrene Nebenstraßen aus und ich habe die Gesamtroute dahingehend geändert, dass wir Mississippi und Alabama auf ein absolutes Minimum beschränken UND auf große Straßen ausweichen, die garantiert einen Seitenstreifen haben. Laut, aber sicher ist mir mittlerweile wichtiger als idyllisch, aber gefährlich.

Nach gut 20 Kilometern spürte man sogar die Sonne erstmals seit Tagen wieder ein ganz klein wenig. Angie war gleich so begeistert, dass Sie vorpreschte, eine Abbiegung übersah und 8 Kilometer in die falsche Richtung radelte. Da wir ja vereinbart hatten, dass der vorne Radelnde erst wartet, dann umkehrt, wenn er den Hintermann/die Hinterfrau längere Zeit aus den Augen verliert, legte ich eine gemütliche Pause an der Abbiegestelle ein und wartete. Und wartete. Und wartete. Nach 20 Minuten nahm ich die Verfolgung auf, aber 20 Minuten Vorsprung sind nicht aufzuholen, zumal wir beide mittlerweile dasselbe Tempo fahren. Nach 5 Kilometern erfolgloser Hatz bei maximalem Belastungspuls hielt ich ein Auto an, und bat den Fahrer, die Radlerin, die er irgendwann überholen würde, zu bitten, umzudrehen und zu mir zurückzukehren, damit ich ihr den rechten Weg weise. "Yessir! No problem" und weg war er. Später stellte sich heraus, dass er viel weiter fuhr, als er eigentlich hätte fahren wollen/müssen, nur um Angie zur Umkehr zu bewegen. Sonst wären heute abend vermutlich in Tennessee gelandet.

Der kleine Umweg brachte den auf Kante genähten Tagesplan gehörig ins Wanken und wir entschieden uns zur Mittagspause, trotz fehlendem Seitenstreifen einen Highway für die nächsten 38 Kilometer als Abkürzung zu nutzen, um das Ziel noch bei Tageslicht zu erreichen. Alternativen gab es nicht. Höchstens Zelten am Wegesrand, was keine Alternative ist bei diesen Temperaturen. Zum Glück war auf dem Highway nicht viel los. Freunde, auf einem Highway ohne Seitenstreifen zu radeln ist so entspannend wie eine Wanderung Anfang April über einen (gerade noch) zugefrorenen See, wo es bei jedem Schritt knackt und knistert. 

Um 16:40 erreichten wir das Hotel, um 16:45 war es dunkel und um 16:47 saßen wir im "Pizza Hut". Damit ist der dritte Winter-Radeltag zu Ende und wir sind rechtschaffen erledigt. Morgen wollen wir den Golf von Mexiko erreichen, wo wir dem Winter dann hoffentlich endgültig entronnen sind. Lassen wir uns überraschen.

Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen. Heute haben wir die 4.000-Kilometer Marke geknackt.



Till Senn

Donnerstag, 28. November 2013

Thanksgiving und Black Friday

Bilder zum Vergrößern anklicken


Heute ist (bzw. aus eurer Sicht WAR) "Thanksgiving", die amerikanische Variante unseres Erntedankfestes. In den USA ist Thanksgiving ein staatlicher Feiertag, der jedes Jahr auf den vierten Donnerstag im November fällt. Thanksgiving ist ein Familienfest und kein guter Tag für Truthähne. Viele Amerikaner fahren oder fliegen quer durch das Land, um das traditionellen Thanksgiving-Abendessen im erweiterten Kreise der Familie zu feiern. Im Land stehen die Uhren still, die meisten Geschäfte haben geschlossen, die (Neben-)Straßen sind leer, was wir wohlwollend zur Kenntnis genommen haben heute. 

Auf den Thanksgiving-Donnerstag folgt der "Black Friday". An einem einzigen Tag findet hier der komplette Sommerschlussverkauf samt Weihnachtseinkauf statt. Black Friday ist Bürgerkrieg, gegen den sich unser deutscher Sommerschlussverkauf verhält wie eine Partie Schach zu .einer Runde Schlamm-Catchen. Kostprobe gefällig?


Thanksgiving hat uns einen äußerst ruhigen und angenehmen Radltag beschert, sieht man einmal davon ab, dass wir wieder bei Minusgraden gestartet sind, 60 Kilometer eisigen Gegenwind hatten und alle Restaurants heute geschlossen haben. Wie gestern sind wir ohne Pause und ohne Essen die 84 Kilometer der heutigen Etappe in einem Zug durchgefahren. Im Hotelzimmer kam dann der Kocher zum Einsatz und ruck-zuck war das Abendessen fertig. Geht doch! Wir sind in Bogalusa, das so grade noch in Louisiana ist. Morgen überqueren wir die Staatsgrenze nach Mississippi.

Angie hat mit ihrem Zahnproblem mal wieder perfektes Timing bewiesen. Das Problem trat auf am Mittwoch abend. Donnerstag = Thangsgiving (alles gschlossen), Freitag nach Thanksgiving hat alles geschlossen, Samstag und Sonntag ist Wochenende. Das heißt, sie wird frühestens am Montag eine offene Zahnarztpraxis finden. Mal schnell zum Notdienst geht mit dem Rad nicht und Taxis.... siehe Thanksgiving. Alles geschlossen.

Hier noch ein paar Bilder eines einzigen Gartens. Gleich das erste hat mich an unserer Radtour erinnert. Es erwischt also nicht nur Radler...





Till Senn

Mittwoch, 27. November 2013

Holiday on Ice

Bilder zum Vergrößern anklicken


Internet ist mal wieder Glückssache im heutigen Hotel, also fasse ich mich kurz: Regen weg, Sonne da, saukalt. 101 Kilometer ohne Pause und ohne Essen. Keine Pausen, weil wir ohne Bewegung vermutlich ein- oder festgefroren wären, und ab Kilometer 75 war es dann auch schon egal. Um 08:00 Uhr verließen wir das Hotel bei -7°C, um 12:00 Uhr Mittags waren es schon 0°C und bei der Ankunft am Nachmittag in Hotel sogar satte 9°C. 

Weil wir die Winter-Radelklamotten nicht durch die Südstaaten mitschleppen wollten, mußten wir improvisieren. Ich habe auch gleich noch auf normales Schuhwerk und lange Hosen verzichtet. Sandalen und Shorts; das wars. Gestern kaufte ich mir einen Pullover (7 Dollar) und Handschuhe (1 Dollar). Den Oberkörper haben wir in viele dünne Schichten gepackt. Darüber dann noch die Windjacke und die Warnweste. Armline für die Arme, Beinlinge für die Beine, ein Kopftuch für den Hals und Regenüberschuhe über die Radschuhe, weil einem sonst die Zehen abfrieren. Als Vorbeugung gegen Blasenentzündung trägt Angie zusätzlich noch die Regenhose über der Radhose. Weil ich mit Rad- UND Regenhose schwitze - egal wie kalt es ist - habe ich mich für den Metzger-Look entschieden, bei dem die Regenjacke am Rücken verknotet wird und dann als XXL-Lendenschurz den Unterkörper vor dem eisigen Wind schützt.


Als Frau hat Angie natürlich auch das Schmuck-Gen. Alle Frauen müssen immer irgendetwas schmücken: sich selbst und/oder das Heim: Wände, Böden, Decken, Regale, Ablagen, Kommoden, Fensterbretter, Balkone, Terrassen, oder wie in diesem Fall: Räder. Frau will, dass die Welt "hübsch" aussieht. 

Dieser zur Jahreszeit - und aktuell auch zur Temperatur - passende Weihnachtsschmuck ziert nun also Angies Fahrrad. Wie würde sich als Ergänzung zum Lenkerschmuck ein pinkfarbener Christbaum auf dem Gepäckträger machen. Was meint der geneigte Leser / die geneigte Leserin dazu?



Die amerikanische Errungenschaft des "Drive In", bei der das Verlassen des Autos überflüssig ist, kennt man auch in Deutschland. Beim McD das Sterne-Menü über Mikrofon aufgeben und anschließend den Mampf vom Schalterfenster direkt ins Auto geliefert bekommen. In den USA gibt es Drive Ins für alles, absolut alles. In Las Vegas sogar für Hochzeiten. Im Vorbeifahren mal eben heiraten. Da mußt Du erst mal drauf kommen. Nun, das hier ist ein "Drive In Geldautomat". 


Ein vielversprechender erster Tag von "Holiday on Ice" hätte auch vielversprechend geendet, wäre Angie nicht beim Abendessen ein (anderer) Zahn bzw. eine Krone herausgebrochen. Drei Tage saßen wir wegen schlechten Wetters in Rufweite der Großstadt Baton Rouge fest. Jetzt sind wir in der Pampa unterwegs, morgen ist "Thanksgiving", Freitag Brückentag und dann Wochenende. SUPA! Aber wir haben uns schon die Pläne A, B und C überlegt. Einer davon wird funktionieren.

Till Senn

Montag, 25. November 2013

Abwarten und Tee trinken

Liebe Blogleserinnen und Blogleser,

wie Regen aussieht, wißt ihr ja. Also erspare ich euch Bilder eines absaufenden Louisianas. Und weil man Kälte nicht (wirklich) fotografieren kann, seht ihr heute ein paar Bilder unseres gestrigen Bummel durch St. Francisville. Es war saukalt, aber (noch) trocken. Auf die Bummel-Bilder folgt ein aktueller Bericht zur Lage der Nation und der unsrigen.





 

 


Zur Lage der Nation und der unsrigen:
Sintflutartiger Regen und nordische Kälte sind über die USA hergefallen. Selbst Alabama, Mississippi und Teile Georgias müssen sich auf Schneefall einstellen. In Nashville, Tennessee schneit es bereits. Weite Teile der USA müssen sich nicht nur auf massive Regen- und Schneefälle sondern auch auf Wind- und Sturmböen sowie Tornados und Blizzards einstellen. Wegen katastrophaler Wetterbedingungen fallen landesweit bereits massenweise Flüge und Züge aus. Überflutungen und Stromausfälle allerorten. Viele Straßen sind gesperrt, Chaos allüberall. Alles in allem suboptimale Rahmenbedingungen für eine Radreise, würde ich mal sagen.

Ab Mittwoch soll es zwar nicht mehr regnen, dafür werden die Temperarturen dann erst so richtig fallen. Nachts auf -6°C, tagsüber klettern sie mit Glück in den Plus-Bereich. MINUS 6 GRAD, Freunde. Aber wir werden am Mittwoch trotzdem wieder auf die Räder klettern, egal was das Thermometer sagt. Hauptsache es regnet bzw. schneit nicht. Das wäre bei den herrschenden Temperaturen eine vorprogrammierte Erkältung. Mindestens. Erst ab kommenden Wochenende sollen sich die Temperaturen langsam wieder normalisieren. Nur direkt an der Golfküste ist es ein gutes Stück wärmer. Ich habe deshalb heute 7 Stunden über Papier- und digitalen Karten gebrütet, um einen Fluchtweg nach Süden auszutüfteln, der uns möglichst sicher (Seitenstreifen), aber auch möglichst schnell vom Kühlhaus zumindestens in den Wintergarten bringt. Wenn alles nach Plan läuft, erreichen wir am Samstag Gulfport im Bundesstaat Mississippi, zwei Tage früher als das bei der offiziellen Route der Fall wäre. 

Gestern habe ich ja geschrieben, dass nichts mehr normal ist. Hier dine Chronologie der Unnormalen:

  • Im Jahre 2007 (Erste Reise vom Pazifik zum Atlantik) hatte ich auf dem 5.400 Kilometer langen Weg von der West- zur Ostküste AUSNAHMSWEISE 90% Gegenwind, obwohl NORMALERWEISE um diese Jahreszeit WESTWIND herrscht. Alle haben mir damals versichert, dass sie so etwas noch NIE erlebt haben.
  • Im Jahre 2009 (Mississippi River Trail) begann es nach wochenlanger Sonnenperiode auf einmal zu regnen und wollte nicht mehr aufhören. UNGEWÖHNLICH STARKE REGENFÄLLE  und VIEL ZU KALT FÜR DIE JAHRESZEIT, tönte es aus aller Munde.
  • Im Jahre 2010 (TransAmerica von Seattle nach Key West) hatte es AUSNAHMESWEISE SÜDOST statt NORDWESTWIND. Meine Route verlief von Nordwesten nach Südosten. 
  • Im Jahre 2011 (Halber Mississippi River Trail zusammen mit Angie) kam zusammen mit uns auch gleich DIE SCHLIMMSTE HITZEWELLE seit 30 Jahren in die Südstaaten. Dazu das EXTREME Hochwasser im Mississippi River Delta aufgrund AUSSERGEWÖHNLICH starker Regenfälle kurz vor unserer Anreise. Was dazu führte, das Teile des Mississippi River Trails nicht befahrbar waren und Campingplätze oder manches Motel in den Fluten verschwand. Mit viel Mühe und Tricks konnten wir die Tour zu Ende radeln.
  • Im Jahre 2013 (Southern Tier II) rattern wir in die schlimmste Kältewelle seit was-weiß-ich-wann. Kältewelle in den Südstaaten, ich glaub es nicht.
ABER, Freunde, A.B.E.R.: Getreu meinen zwei Lieblings-Motti "failure is not an option" und "never surrender, no matter what!" werden wir diese Tour solange radeln, wie wir nicht krank oder verletzt oder anderweitig außer Gefecht gesetzt sind. Gegen Kälte gibt es Klamotten, gegen Regen vermutlich auch was Besseres als meine Regenjacke genannte Rauhfasertapete und bei Gegenwind hilft eh nichts.

... Und ja, ich weiß, der Plural von Motto lautet Mottos. Mir gefällt aber Motti besser. Basta.

... Und auch ja, alle Esoteriker werden jetzt wieder wissend gucken und was von Karma oder Energie oder Wellen faseln. Leute, ich bin mit dem Kosmos im Einklang, nur des Kosmos nicht mit mir! Das ist das Problem, aber das bekomme ich auch noch in den Griff.

Zum Abschluss wieder mal ein passender Song in zwei Varianten. Einmal für die Warmduscher (Nr. 1), die zweite ist MEINE Variante.

Ride like the Wind




Till Senn

Sonntag, 24. November 2013

Kein Glühwein in Louisiana

Bilder zum Vergrößern anklicken



Karl Valentin hat recht, wenn er sagt: "Die Zukunft war früher auch besser!" Wir sind in St. Francisville, Louisiana. New Orleans ist beinahe in Rufweite. In den Südstaaten ist es warm, hieß es. Ist es auch. Normalerweise! Aber was ist heute noch normal. Nicht mal ich! Die angekündigte Kaltfront aus Kanada ist eingetroffen und hat ungebetenerweise gleich noch eine Unmenge Regen mitgebracht. Warum kann Kanada seine blöde Kaltluft nicht behalten? Warum der Himmel nicht seinen blöden Regen? Die Wege des Herrn... Die gute Nachricht: NOCH schneit es nicht, obwohl die Temperaturen nachts unter den Gefrierpunkt sinken. Tagsüber quälen sie sich mühsam auf 3 - 7°C nach oben. Von den gestrigen 92-Kilometern fuhren wir die letzten 50 im eiskalten Regen, zeitweise bei heftigem Gegenwind. 

Der zeremoniell geplante Triumph-Ritt über die Mississippi River Brücke geriet zur pudelnassen Zitterpartie. Seit meiner TransAmerica-Tour durch die Rocky Mountains im Jahre 2010 weiß ich ja bereits, dass die Temperaturangaben auf Schlafsäcken lediglich etwas darüber aussagen, wieviel der SCHLAFSACK aushält. Gestern habe ich gelernt, dass die schönen Visualisierungen der Regenjackenhersteller in erster Linie etwas über die Phantasie des Zeichners aussagen, der die tollen Bilder für die Marketingleute malt. Auf der Außenseite des Zaubermaterials sieht man die bösen, großen Regentropfen, denen das Zaubermaterial Einhalt gebietet: "Halt, ihr Schurken! Ihr dürft hier nicht durch!", worauf die dicken Regentropfen schmollend abperlen. Die kleinen, unschuldigen, süßen Schweißtröpfchen auf der Innenseite dagegen werden geradezu vom Zaubermaterial ins Freie hinauskomplimentiert: "Bitteschön, immer hier entlang, Herrschaften, hier gehts raus an die frische Luft, immer hier entlang, meine Herrschaften, die Freiheit ruft...." Innen trocken, außen nass, sagen die Marketingleute, wasserdicht und hoch atmungsaktiv, sagen sie. Außen nass und innen trocken, sagen sie. Ich aber sage euch: Vergiss es! Traue einem Marketingmenschen nur soweit, wie du ihn werfen kannst. Atmungsaktiv UND wasserdicht geht nicht. Entweder - oder. Material, pah! Ohne Imprägnierspray ist Zauber schnell vorbei. Angie war - wie immer - klüger als ich und hatte ihre Regenklamotten zuhause noch brav imprägniert. Ich jedoch habe wider besseren Wissens den Bildern der Zeichner und dem Geschwafel der Marketingmenschen vertraut und durfte nun unfreiwillig das Freischwimmerabzeichen für Radfahrer mit wasserdichtem Material erwerben.

Nach wenigen Minuten Radeln im strömenden Regen hatten die bösen, dicken und eiskalten Regentropfen das Bollwerk der Marketingmenschen überrant und bald darauf sämtliche darunter beindlichen Kleidungsschichten durchtränkt auf Außentemperatur (4°C) abgekühlt. Der heftige Wind sorgte dafür, dass das Material hauteng am Körper klebte. Erlebnisradeln. Aber gemäß der alten Sportlerregel "Solange Du die Drehzahl hoch hältst, ist es nur unangenehm, aber nicht ungesund." konnte ich durch pausenloses Radeln das Problem auf ein halbwegs erträgliches Maß eindämmen. Nur nach dem obigen Brückenfoto mußte ich die inneren drei Schichten für die letzten 15 Kilometer noch einmal komplett erneuern, da sie sich nicht mehr erwärmen ließen. Dabei habe ich buchstäblich mein letztes Hemd gegeben. Aber nach 92 Kilometer war die Regenfahrt durchs Kühlhaus zu Ende und wir saßen im schönen, komfortablen Hotel in St. Francisville, Louisiana. Hier werden wir nun die nächsten drei Tage wegen des anhaltend schlechten Wetters sitzen. Dann soll sich zumindest der Regen verzogen haben. Die Kältewelle hält noch ein paar Tage länger an. Muß ich erwähnen, dass allerortens zu hören und lesen ist, es handle sich um eine ungewöhnliche Kältewelle und dass es um diese Jahreszeit eigentlich.... und normalerweise bei weitem nicht so... 

Nachfolgend ein paar Notizen und Bilder zu den letzten 183 Kilometer. Los gehts mit diesem Bild aus dem Chicot State Park nördlich von Ville Platte. 


Von meiner 2007er Tour wußte ich, dass es hier einen wunderschönen kleinen See voller Sumpfzypressen gibt. Goldenes Licht, Wasserspiegelungen, Dschungelakustik, kurz: ein Augen- und Ohrenschmaus. Als wir in den Park einbogen, fielen die ersten Tropfen. Die Tiere des Waldes verstummten. Kurz darauf regnete es heftig. Grau in Grau statt goldenes Licht. Weder mein Fotoapparat noch die Filmkamera sind für Unterwasseraufnahmen geeignet. Außer diesem Bild gibt es deshalb auch leider nix zu diesem kleinen, aber wunderschönen Statepark im Herzen Louisianas zu sehen. Ich lache wieder einmal nur deshalb, weil Weinen blöd aussähe. Helden weinen nicht. Sie schniefen höchstens. Schnief.

Wir durfen auch wieder ein paar besonders schöne Beispiele amerikanischer Weihnachtskultur bewundern. Im Vordergrund winkt Papa Weihnachtsmann, rechts dahinter sitzt Opa Weihnachtsmann im aufblasbaren Schaukelstuhl und und der Sohnemann tollt mit drei Rentieren auf der Schaukel. 




Apropos schaukeln: manche Straßenabschnitte gleichen auch eher einem Abenteuerspielplatz als einer Straße. Dann heißt es entweder Zähne zusammenbeißen oder Zahnarzttermin vereinbaren. Was bin ich froh um die neuen Reifen (Schwalbe Marathon Plus "Touring"; 700x35). Ein ganz klein wenig Luft ablassen und die Reifen federn schon mal das Schlimmste ab). 


Den ersten Blick auf den Mississippi River erhaschten wir rund 70 Kilometer vor der Überquerung des Flusses. Lächeln fiel uns hier schon verdammt schwer. Die Zähne wollten eigentlich nur klappern. Aber was tut man nicht alles für sein Publikum. Jaaaaa, wir tun das alles nuuur für euch!


Also schnell zum Fluß, Foto gemacht, aufgesessen und weitergeradelt. Bis Morganza, wo ich aus nostaligischen Gründen unbedingt in dieses Cafe wollte:


Ein (entscheidendes) Wort am Anfang konnte ich nicht aufs Bild bringen: "Not". Das Restaurant heißt Not Your Mama´s Cafe. Im Jahre 2007 habe ich zusammen mit meinen amerikanischen Mitradlern in diesem Cafe zunächst fürstlich zu Mittag gegessen, darauf ein hausgemachtes Stück Cheescake von der Größe einer kleinen Melone und danach eine hausgemachte Portion Bread Pudding von der Größe einer großen Melone verschlungen. Anschließend konnte ich noch über 80 Kilometer ohne notärztliche Hilfe bis zum damaligen Tagesziel weiterradeln. Meine amerikanischen Mitradler hätten mich dafür beinahe in den Ritterstand erhoben, schafften sie doch jeweils nur EIN einziges Stück Kuchen (OHNE vorheriges Mittagessen). Auf den Kuchen habe ich diesmal schweren Herzens verzichtet - im Gegensatz zu Angie werde auch nicht jünger - aber der Cajun-Küche konnte ich nicht widerstehen: Crawfish-Etouffee... Freunde, ich kann euch sagen, ein Gedicht! Endlich eine Dorfküche am Straßenrand, in der wirklich gekocht und nicht nur frittiert oder mikrogewellt wird. Not your Mama`s Cafe ist übrigens eindeutig in Frauenhand. Hier die Beweise:





Als wir das Restaurant wieder verließen, hatte strömender Regen eingesetzt. Ein PickUp-Fahrer blieb stehen und kurbelte das Fenster runter: "Hi, mein Sohn ist auch Langstreckenradler. Er radelt zur Zeit quer durch Europa. Ich wohne 20 Meilen weiter. Wenn ihr ein Dach über dem Kopf braucht, seid ihr herzlich willkommen." Wir lehnen bedauernd ab, weil wir in St. Francisville schon das Hotelzimmer gebucht haben und dort vermutlich mehrere Tage bleiben wollen/müssen. "Stay safe!", sagt er und fährt winkend davon. Und schon will der nächste wissen, ob wir Hilfe benötigen, ein dritter versucht uns mit Wetterprognosen aufzumuntern und ein weiterer gibt uns den Tipp, dass in New Roads "just a few miles down the road" ein neues Hotel eröffnet hat. Wieder einmal diese übewältigende Hilfsbereitschaft. 

Dass wir bei derartigen Temperaturen und diesem elendigen Sauwetter auf die Räder klettern, können die Leute nicht fassen. Wir auch nicht. Aber wir klettern dennoch auf die Räder und radeln in der eiskalten und gegenwindigen Dusche weiter, immer weiter. Bis sich irgendwann die Konturen einer mächtigen Brücke im verschleierten Einheitsgrau abzeichnen. Vor 7 Jahren gab es die Brücke über den Mississippi River noch nicht und wir durften den großen Fluss ehrfurchtsvoll mit einer Fähre überqueren. Nun, die Zeiten ändern sich. Dieses Mal radelten wir auf einem breiten Seitenstreifen über den Fluss.




Tja, und den Rest kennt ihr ja schon vom Einstieg in diesen Blogbeitrag: Wind, Regen, Kälte, wasserundichte wasserdichte Klamotten etc. In Arizona mußten wir wegen der Hitze die Fahrt vorübergehend unterbrechen, in Louisiana nun wegen der Kälte und des Regens. Temperaturdifferenz 51°C! Welch ein Auf und Ab, welch eine Reise! Da können die Warmduscher zuhause, ganz besonders der aus Mühldorf, viel von Italien erzählen. Wenn ich Rentner bin, vieleicht. Vielleicht! Nix für ungut, Radlpeter. Ich meine es natürlich nicht so. Italien ist bestimmt schön, und das Chiemgau auch, aber diese Reise ist eben WEGEN seiner Höhen und Abgründe gigantisch. Ich will jubeln und fluchen, schwitzen und frieren, lachen und weinen, Rücken- und Gegenwind. Das Verhältnis muß ja nicht 50:50 sein. 90:10 täten es auch.

Till Senn

----------------

Reverend Nev Ermind`s Bibelstunde... (für die, die es noch nicht satt haben)

Lasset mich schließen mit einer kurzen Bibelstunde, die zum aktuellen Wetter passt. Das Thema: "Fürbitten":


"Eine Fürbitte ist ein Gebet, in dem ein Beter Gott für jemand anderen um etwas bittet. Sie unterscheiden sich von Bitten, die Gott für einen selbst um etwas bitten" (Quelle: http://www.fuerbitten-online.de

www.fuerbitten-online.de listet folgende Kategorien von Fürbitten auf: Hochzeit, Taufe, Beerdigung, Kommunion, Firmung, goldene Hochzeit und Evangelisch. Schade, die Kategorie "Wetter in Louisiana" ist nicht dabei, sonst hättet ihr sofort einen Auftrag zur organisierten Bettelei erhalten. Die Kategorie "Evangelisch" ist leer. Ein Schelm, wer Gutes dabei denkt :-) Den Gag mit der goldenen Hochzeit finde ich besonders nett. Die ersten läppischen 49 Jahre muß das junge Glück also ohne fürbittlichen Beistand auskommen. Erst ab 50 Jahren scheint es Beistandsbedarf zu geben, z.B: "Lass die Sonne scheinen, lass das Essen schmecken." Halt, nicht lachen! Ich zitiere hier nur www.fuerbitten-online.de! Keine Satire kann die Realität auch nur annähernd abbilden. Humor haben sie, die Fürbitter, das muß man ihnen lassen. Ich aber sage euch: wer nach 50 Jahren immer noch nicht kochen gelernt hat, dem werden selbst die ausgefuchstesten Fürbitten nicht helfen. Der müsste schon nach Altötting, wo viel Wundersames geschieht und Maria hie und da sogar ein Wunder geschehen lässt. So zum Beispiel, dass die Amtssprache immer noch Deutsch und nicht Russisch ist. Was das junge Glück der goldenen Hochzeit betrifft, so wäre es rein statistisch gesehen vermutlich erfolgversprechender, dem Ehepaar einen Koch zu er-fürbitten. Oder einen Gutschein für einen Kochkurs der örtlichen VHS auf den Gabentisch legt. 

Gar nicht lustig finde ich dagegen die Beerdigungs-Fürbitten, bei denen der liebe Gott entweder für den Verstorbenen oder die Hinterbliebenen tätig werden soll.  Lassen wir mal den Fall 1 "Verstorbenen" außer acht, bei denen es in den Fürbitten vor allem um einen ordentlichen Start ins zweite Leben geht. ("Na gut, dann halt nur 5 statt 5.000 Jahre Leiden und Quälerei im Fegefeuer. Der nächste, bitte." oder "Na gut, dann bekommt er seinen blöden iPod statt der gutten alten Bibel und am Sonntag darf er meinetwegen auch Formel 1 gucken, aber erst NACH der Bibelstunde"). Beten für Verstorbene ist für mich wie das Verkaufen von Grundstücken auf dem Jupiter (mit Geld-zurück-Garantie): Kompletter Schwachsinn, leicht zu entlarven, aber mit der richtigen Marketingstrategie ein garantiertes Bombengeschäft für die Verkäufer. Bei den Hinterbliebene sieht die Sache dagegen anders aus. Hinterbliebene sind Menschen, die leben und leiden. Die vielleicht nicht wissen, wie sie den heutigen Tag übestehen sollen, geschweige denn wie ihr Leben weitergehen soll, die fassungslos vor einem Trümmerhaufen stehen und deren Welt alle Farbe und Wärme verloren hat. Eine Welt, in welcher der Schmerz alles andere erdrückt. Diesen Menschen soll der liebe Gott aufgrund der Fürbitten nun das Leben leichter machen als es ist. Was logischerweise voraussetzt, dass Gott es eigentlich anders gewollt hat: nämlich so (unerträglich schmerzvoll), wie es ist. Hätte er es anders gewollt, wäre es ja anders, oder? Allmächtigkeit und so. Dass Gott das eine will, aber das andere geschieht, können wir getrost ausschließen. Anders formuliert: Gott würde es dem Hinterbliebenen eigentlich schwerer machen, wären da nicht die Fürbitter mit ihren Fürbitten, die ihn zum Umdenken, Einlenken bewegen. Wie aber passt das zur Allmächtigkeit? Das wäre mir aber ein seltsamer Allmächtiger und Allwissender, der nach links will, dann aber rechts abbiegt, nur weil alle im Chor rufen "Nach reeeeeechts, bitte nach reeeeeeechts!"
"Na gut, dann lasse ich Dich eben nicht mehr weiterleiden wie einen Hund. Da, bei denen hier kannst Du Dich dafür bedanken. Wenn es nach MIR gegangen wäre...." Auf mich wirkt das, als solle man seinem Folterer dafür danken, dass er einem nur acht Fingernägel mit der Zange herausgerissen hat, dann aber einer Petition von Amnesty International folgend einlenkt, dem Gequälten großzügig zwei Fingernägel lässt, aufmunternd auf die Schulter klopft und sagt: "De wachsen nach. De Zeit heilt doch eh alle Wunden. Wos moanst, samma wieda guad?"

Fürbitten sind eine uralte, wassderichte und grandiose Volksverdummung, bei der am Ende immer nur eins von drei Dingen eintreten kann:
1. Das Erbetene trifft ein = Gott hat das Gebet erhört. (Hat eingelenkt)
2. Das Erbetene trifft nicht ein. Jetzt gabelt sich die Antwort in
2a) "nicht intensiv/ehrlich/bescheiden genug gebetet". Selber schuld nach dem Motto "Es tut mir ja mehr weh als Dir, aber so kann ich den Antrag leider nicht genehmigen." 
2b) "die Wege des Herrn sind unergründlich und alles hat seinen tieferen Sinn, den wir Erdenwürmer nur eben nicht begreifen".
Wie im Spielcasino gewinnt auch in der Religion letztlich immer die Bank und zieht der Kundschaft das Geld aus der Tasche. Aber die paar Münzen, die unters Volk geworfen werden, halten den Laden am Laufen. Das Geschäft mit der Hoffnung blüht.

-------------------------------

Und, lieber Joe, zum Schluß noch die Wir-sind-hier-Karte mit dem Pfeil, die sich seit dem vorletzten Blogeintrag ob des Maßstabes nur geringfügig verändert hat :-)



Donnerstag, 21. November 2013

Cajun Country

Bilder zum Vergrößern anklicken



Nach einer Nacht in einem Motel, in dem wir keine zweite Nacht verbringen möchten (zuviele Mitbewohner mit zu vielen Beinen), frühstücken wir in der örtlichen Tanke. Ein Becher Kaffee und irgendwelches kalorien- und zuckerhaltiges Zeug ist das einzige, das wir üblicherweise in Tankstellen ergattern. Aber es füllt die Kammern und mir müssen nicht mit leerem Magen losradeln. 

Alles ist Grau in Grau. Wolken, Dunst, Nebel - aber es ist mild, beinahe warm. Die Wolken hängen so niedrig, dass sie beinahe den Helm berühren. Auf einsamen Landstraßen rollen wir durch das ländliche Louisiana. Eine Fahrt durch Watte. Angie entdeckt natürlich wieder Farben im Einheitsgrau. Auf den ersten Blick nicht zu erkennen: ein Blumenladen in Mamou, LA...


Abgesehen von den unvermeidlichen Hunden eine ruhige Etappe. Wenig Aufregendes, viel Beschauliches und immer wieder dieses absurde Wissen, dass es Ende November ist und wir nach beinahe 4 Monaten immer noch radeln und radeln und radeln. Wenn Angie die Schule tatsächlich einmal vermissen sollte, dann kann sie sich ja an einen der unzähligen Schulbusse anlehnen.




Louisiana ist fast doppelt so groß wie Bayern, hat aber nur etwas mehr als ein Drittel der Einwohner. New Orleans ist vermutlich die bekannteste Stadt Louisianas. Auch Baton Rouge ist vielleicht noch bekannt oder - die Hauptstadt Louisianas - Lafayette. "Am 30. April 1803 kaufte US-Präsident Thomas Jefferson mit dem so genannten Louisiana Purchase die französische Kolonie Louisiana von Napoleon I. für 15 Mio $. Die Vereinigten Staaten verdoppelten damit ihr Staatsgebiet auf einen Schlag, denn das damalige Louisiana umfasste noch große Gebiete des Mittleren Westens. Louisiana wurde am 10. März 1804 in einer förmlichen Zeremonie übergeben. Mit dem Organic Act vom 26. März 1804 wurde mit Wirkung vom 1. Oktober aus dem Gebiet, das südlich des 33. Breitengrades lag, das Orleans-Territorium geschaffen, das im Wesentlichen dem heutigen Louisiana entspricht. Der weitaus größere Teil nördlich des 33. Breitengrades wurde zum District of Louisiana, der 1805 in Louisiana-Territorium umbenannt wurde. Am 30. April 1812 wurde das Orleans-Territorium unter dem Namen Louisiana als 18. Bundesstaat der USA aufgenommen. Um eine Verwechslung zu vermeiden wurde im Juni des gleichen Jahres das Louisiana-Territorium in Missouri-Territorium umbenannt."
(Quelle: Wikipedia.de)

Nach der Heimatkunde noch ein Wort zu "Cajun", ausgesprochen "keɪdʒən" (Keidschen). Seit gestern sind wir nämlich im sogenannten Cajun Country. "Acadiana bzw. Cajun Country ist die jahrhundertealte Heimat der Cajuns, der französischstämmigen Bevölkerung im Süden des US-Bundesstaats Louisiana. Die Cajuns sind Nachfahren im 18. Jahrhundert aus den Atlantikprovinzen Kanadas vertriebener akadischer Franzosen. Ihre Vorfahren stammen aus der ostkanadischen Provinz Acadie (daher stammt auch der Name 'Acadiens', das die englischsprachigen Nordamerikaner später über "Acadians" zu "Cajuns" verballhornten), von wo sie 1755 von den Briten nach deren Sieg im Britisch-Französischen Krieg brutal vertrieben wurden. Viele Überlebende siedelten sich nach mehreren Jahren Irrfahrt in den 1760er Jahren im damals von den Franzosen an die Spanier verkauften Louisiana an, das noch den französischen Gouverneur behalten hatte und über jede Zuwanderung froh war. Später wurde das Territorium wieder französisch und kam durch Napoléon Bonapartes Verkauf, den Louisiana Purchase, 1803 schließlich zu den USA.


Die Cajuns lebten bis in den Beginn des 20. Jh. völlig unberührt von der US-amerikanischen Umwelt und behielten ihre Kultur bei, darunter ihre Musik, die Cajun-Musik, ihren eigentümlichen alten westfranzösischen Dialekt, das Cajun French und die bekannte Cajun-Küche. Mit dem Schmelztiegel New Orleans hat ihre Kultur wenig zu tun. Erst in den 1930er Jahren, als in Louisiana Öl gefunden wurde, kamen die Cajuns mit den Amerikanern in Berührung, wurden in der Folge im Zuge ihrer Anglisierung gezwungen, Englisch zu lernen und zu sprechen. Kinder, die ihr Cajun French in der Schule sprachen, wurden bestraft, als Hinterwäldler betrachtet und wegen ihres fehlerhaften, harten Englischs ausgelacht und verachtet. Erst in den 1970er Jahren erkannte man nach langen Bemühungen seitens der Cajuns den Wert ihrer Kultur an und Französisch wurde in Louisiana zweite Staatssprache."
(Quelle: Wikipedia.de)

Eine Besonderheit Louisianas sind Friedhöfe mit überirdischen Gruften. Dieser Friedhof hier ist eigentlich nur eine Wiese mitten in der Stadt. Kein Zaun drumrum, keine Kirche, keine Kapelle. Einfach nur ein Friedhof mitten in der Stadt, links und rechts Häuser und gegenüber ein Weingeschäft.


Angie hat ein wenig recherchiert. "Der Brauch, überirdische Grabstätten anzulegen, geht zum einen darauf zurück, dass just zu dieser Zeit diese Bestattungsart in Spanien sehr beliebt war und der Governeur von Louisiana ein Spanier war. Ein weiterer und weitaus praktischerer Grund ist der hohe Grundwasserspiegel. Wer ein Grab schaufeln will, wird unweigerlich auf Wasser stoßen. Die ersten Siedler versuchten Steine auf die Särge zu legen, um sie zu beschweren, aber nach dem nächsten Regen konnte es leicht sein, dass der steigende Grundwasserspiegel die Särge aus ihren Gräbern und durch die Straßen trieben. Epidemien in den 1830ern wurden auf die unterirdisch Begrabenen zurückgeführt. Daraufhin hatte man die oberirdische Beerdigung gesetzlich vorgeschrieben. Bis zum heutigen Tag. Die überirdischen Friedhöfe werden auch als 'cities of the dead' bezeichnet. (Quelle: http://www.experienceneworleans.com - adaptiert)"

Zum Schluss noch drei Musikvideos, von denen zwar nur das erste Cajun Musik ist. Aber die beiden anderen passen erstens auch perfekt zu den Südstaaten und sind zweitens aus Filmen, die ich sehr schätze.



Video 2: "Dueling Bajnos" aus dem Film "Deliverance" (dämlicher deutscher Titel: "Beim Sterben ist jeder der Erste") von 1972.  Damals hat man sich noch Zeit gelassen bei Filmen. Ungeduldige spulen bis 2:20 vor.


Video 3: George Clooney, John Turturro und Tim Blake Nelson singen "Man of constant Sorrow" im Film "O Brother Where Art Though"


Till Senn

Mittwoch, 20. November 2013

Der Himmel über Oberlin

Bilder zum Vergrößern anklicken



"Als der Mann Mann war, radelte er mit hängendem Kopf, wollte der Berg sei ein Tal", ... und soweiter und so fort rhabarber rhabarber rhabarber... Nun ja. Wim Wenders 1987 und so. Gut, dass die Zeit vergeht.

Im Augenblick sitze ICH statt Angie auf diesem Stuhl des Balkons vor unserem Motelzimmer in Oberlin. Monica (im Hintergrund mit dem roten T-Shirt), eine Radlerin aus Ohio ist vorübergehend unser Gast. 


Wir haben sie an einer Kreuzung in Oberlin getroffen. Sie radelt alleine und will von hier an die Westküste nach San Diego (also unsere Route, nur in umgekehrter Richtung) und dann am Pazifik entlang nach Norden bis zum Bundesstaat Washington. Und das bis Mitte/Ende Dezember. Ambitioniert. Und verdammt kalt. "Das macht mir nichts aus", sagt sie. "Ich habe schon bei Minusgraden gezeltet. Ich mag die Kälte." Ihr Fahrrad ist defekt, aber der nächste Radladen ist 65 Kilometer von hier entfgernt. Monica hat dort angerufen und eine Mitarbeiterin des Radladens holt sie hier ab. Sie kann bei bei der Mitarbeiterin übernachten und morgen reparieren sie das Fahrrad. Und jetzt überlegt jeder, welcher deutsche Radladen das für einen amerikanischen Radler tun würde. Ich wüßte nur einen, und zwar "Radl Ruhland" in Freising.

Seit wir in Louisiana unterwegs sind, grüßen uns deutlich mehr Autofahrer als in Texas. Manche hupen nur und heben die Hand, aber viele kurbeln das Fenster runter und winken uns zu. Und fast jedes Mal, wenn ich am Straßenrand stehe und, räusper, auf Angie warte, bleibt irgend jemand stehen und fragt, ob ich Hilfe brauche. In Deutschland ist mir das noch nie passiert. Noch nieeeeeeee.

Bei traumhaftem Wetter durften wir heute eine kaum befahrene Straße mit breitem Seitenstreifen genießen. Die Wade scheint sich (fast) vollständig erholt zu haben und ich konnte endlich wieder mal so richtig Gas geben. YEAH!!! Ein Radeltag, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen kann. Radeln macht hungrig und so sieht ein typisches Mittagessen aus. Als Restaurant hält eine Tankstelle her und das Menü ist überschaubar:



Ja, wir Radnomaden sind nicht wählerisch. Ein Stück Pizza und etwas Wasser (Hermann) und ein KitKat samt einem Schluck Powerade (Angie) halten als Mittagessen her. Und das ist gut so, denn würden wir in ein Restaurant gehen (das es nicht gibt) und dort essen, was es dort so gäbe, dann würden wir trotz Radeln zu- und nicht abnehmen. 
-----
Reverend Hermann "Nev" Ermind`s Bibelstunde...


Liebe Pentecostal Church, vielen Dank für Deinen motivierenden Hinweis, dass einmal falsch Abbiegen schon meine komplette Seele kosten könnte. Wenn ich bedenke, wie oft ich mich schon verfahren habe auf meinen vielen Radkilometern (und auch so manchen Autokilometern), dann kann ich unmöglich noch eine Seele haben. Wie dem auch sei, mich kostet es in erster Linie Zeit und Nerven, wenn ich den falschen Weg wähle. Apropos falscher Weg... Wie steht es denn momentan um Bischof Tebartz-van Elst? Trotz der Ferne geht mir die Geschichte doch sehr nahe. Hat der, räusper, arme Kerl doch bei seinem Amtsantritt doch tatsächlich als eines seiner Ziele formuliert "die Armen wahrnehmen." Wahrscheinlich hat er es so gemeint: "Um Gottes Willen,  da sind ja Arme. Nichts wie weg von hier!" Ist Herr Trebartz an dieser Stelle falsch abgebogen? Wenn ja, hat er damals seine Seele verloren? Ich sehe ihn jedenfalls heute vor mir, wie er in seinem bescheidenen Büro (weiß getünchte Wände, ein schlichter Holztisch mit Hocker und ein einfaches Bett) vor seinem PC sitzt und mit Glanz in den Augen die internationalen Börsenkurse studiert, addiert, lächelt. Dann reisst er sich schweren Herzens von den herrlichen Zahlen los, um die nächste Predigt vorzubereiten. Thema: "Selig sind die Reichen, denn ihrer ist das Himmelreich." 

Und damit verabschiede ich mich bis zur nächsten Bibelstunde mit diesem Spruch (zum Auswendiglernen): "Ist die Seele erst verloren, lebt es sich wie neugeboren."

Reverend Hermann "Nev" Ermind