Mittwoch, 18. September 2013

Hello Arizona!

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Ich bin ein Logistik-Gott! Aber auch ein rechter Trottel. Aber Logistik-Gott! Der Reihe nach. Angie und mir brach fast das Herz, weil wir eines der absoluten Highlights des Southern Tier aufgrund der Hitze nicht radeln konnten. Die „Imperial Sand Dunes“ oder „Algodone Dunes“, die sich gleich hinter Brawley bis hinunter zur mexikanischen Grenze erstrecken. Auf die kleine Sahara folgt eine 100 Kilometer lange, rauhe, wilde und völlig menschenleere Felsenwüste, die sich bis Palo Verde erstreckt. Von dort bis zur nächsten Stadt Blythe am Colorado River sind es noch einmal 30 Kilometer. Von Brawley bis Blythe also insgesamt 158 Kilometer „without services“, nachdem vor kurzem auch das allerletzte Restaurant in Palo Verde schließen mußte. 

Also nix durch Dünen düsen. Stattdessen zurück nach El Centro radeln, wo ich ein Mietauto - einen dicken, fetten SUV - abhole, in dem die Räder, das Gepäck, Angie, ich und die erste Mannschaft der "San Diego Chargers" Platz finden. Das traf sich wirklich ganz gut, weil die Jungs gerade in Richtung Phoenix unterwegs waren, aber Greyhound mal wieder einen Bus mit kaputter Klimaanlage ankarrte. Als die Spieler so hilflos am Straßenrand rumstanden, bin ich natürlich rechts rangefahren: „You guys need a lift?“ Nette Jungs, die Chargers, ehrlich. Und so mitfühlend. Was haben wir geweint, als wir an diesen Kulissen vorbeifuhren: und zwar im AUTO statt auf dem Rad (buhu!)




In Blythe eine kurze Nacht geschlafen und am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe wieder denselben weg zurück (BUHU!) und das Mietauto zurückgegeben. Dann zur Greyhund Station. Wo mich die Dame am Schalter freundlich, aber bestimmt darauf hinwies, das mein stolz vorgezeigtes Ticket für GESTERN ausgestellt sei. Das war der Trottel-Teil. Aha, Soso. Nochmal 50 Dollar für ein Ticket bezahlt, 2 Stunden in einem Wartesaal gesessen, der eine Mischung aus einer Wertstoffhof-Installation und einer öffentlichen Toilette war, um anschließend die erste von zwei Etappen (bis Indio) reibungslos hinter mich zu bringen. In Indio dann 3,5 Stunden in einem sauberen Wartesaal im Innern eines Wohnmobilanhängers auf den nächsten Bus gewartet. Jedesmal wenn am Gleis neben dem Container ein Zug vorbeidonnerte, fühlte ich mich in die Szene aus „Blues Brothers“ zurückversetzt. Die mit der U-Bahn und dem Toaster.

Dann kam der Bus, vermutlich der von den San Diego Chargers. Jedenfalls ist die Klimaanlage kurz vor der Abfahrt ausgefallen. 47 Grad Außentemperatur, ein vollbesetzter Bus. Was tun? Warten. Dann Abfahrt und die Information „Sorry. Air out. Maybe we can do something in Phoenix. You don’t want to go to El Paso without air, eh? Hähähä.“ Das Echo auf den Humor des Busfahrers war, sagen wir, geteilt. Zwei haben gelacht, 47 nicht. Dann hatte der Busfahrer die Eingebung des Tages. Vermutlich hat er mal einen Flugzeugkatastrophenfilm gesehen, wo immer irgendwann irgendeine Stewardess über Mikro sagt: „Es besteht kein Grund zur Panik. Aber ist zufällig ein Arzt unter den Passagieren?“ Woraufhin alle sofort in Panik ausbrechen. 

Nur dass unser Busfahrer eine glänzende Transferleistung vollbrachte, indem er nach einem Mechaniker fragte. Es war tatsächlich einer an Bord („Lassen Sie mich durch, ich bin KFZ-Mechaniker!“), der sich sofort ans Werk machte und mit der Unterstützung anderer Fahrgäste und deren Schraubenziehern, Messern, Drahtspulen, Feilen, Sägen, Äxten, Motorsägen, Bohrhämmer und was weiß der Himmel noch alles hier was öffnete, dort was schloss, dann ein wenig hämmerte, drückte, zog, fluchte, schob, fluchte, bohrte, schraubte, verschloss und einmal kräftig mit der Faust von außen auf das Teil drosch. Wuuuuuusch… war die Antwort der Klimaanlage als sie ansprang. Männer warfen ihre Hüte in die Luft, Frauen kreischten hysterisch „Hurra“ und "Hoch soll er leben!“. Es herrschte insgesamt eine Atmosphäre wie nach einem knapp überstandenen Luftangriff. Was es ja auch war: Heiße Luft. Dass kalte Luft so sehr verbrüdern kann, hätte ich niemals geglaubt. Viel hätte nicht gefehlt, und amerikanische Amerikaner, indianische Amerikaner, schwarze Amerikaner, mexikanische Amerikaner, chinesische Amerikaner und ein Bayer wären sich in einem Greyhoundbus bei 105 km/h auf der I-10 irgendwo zwischen Indio und Blythe in den Armen gelegen. In solchen Situationen wird jeder zu deinem besten Freund, der nicht bei Drei in der Hutablage ist. 

Lieber Florian P. aus Altötting. Falls Du diesen Beitrag jemals liest, überlege Dir doch einmal eine Karriere als „Mobile Greyhound Wizard“. Du fährst in Bussen kreuz und quer durch dieses wunderbare, unendliche Land, darfst ständig technische Probleme lösen und wirst anschließend von den Leuten um dich herum behandelt wie Jesus am Palmsonntag. (Lassen wir an dieser Stelle den Karfreitag mal außer acht). Um Arbeit und technische Herausforderungen brauchst Du Dir keine Sorgen machen. Greyhound wird’s schon nicht richten.

Nach 14 Stunden Warter- und Reiserei verlasse ich den Bus in Blythe hungrig und müde, aber in der Gewissheit, Dinge erlebt zu haben, die Du nie und nimmer in einem All-Inclusive Hotel oder am Strand erlebst. Während ich zu Fuß von der Greyhound-Station zum Hotel trotte, quengeln die aller-aller-allerletzten Sonnenstrahlen: „Noch eine Geschichte, nur eine kurze!“ 
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04:55 Uhr: Wecker läutet
04:55:01 Uhr: Hermann ist aus dem Bett
05:07:00 Uhr: Angie ist aus dem Bett
Waschen (2 min, oder so), packen (20 min), frühstücken (gemütlichst). Um 06:20 Uhr machen wir uns gerade rechtzeitig zum Sonnenaufgang auf den Weg.

Angie, auf und davon
Die ersten Kilometer dieses neuen Tages sind gleichzeitig auch die letzten Kilometer in Kalifornien. Kurz nach Blythe überqueren wir den Colorado River - und sind in Arizona, dem „Grand Canyon State“. 



AUFGEMERKT! Es folgt ein Häppchen Wissen für die Freunde von Studiosus Reisen! Man soll mir nicht nachsagen, ich würde einfach nur kulturlos durch die Gegend radeln. Gut mitschreiben! Wenn ich im Februar wieder zurück bin, frage ich ab. Also: Der Stamm der „Tohono O'Odham“ (übersetzt: „Volk der Wüste“) ist vor vielen vielen Jahren hier in Arizona eingezogen. Das Volk der Wüste gibt es immer noch und es spricht drei Sprachen: O'Odham ha-ñeʼokĭ, O'Ottham ha-neoki oder O'Odham ñiok. Wie wir aus Heimatkunde alle wissen, zählt das zu den Pimic-Sprachen (oder Tepiman) und gehört zum südlichen Zweig der uto-aztekischen Sprachfamilie. Und wer ganz genau aufgepasst hat, der weiß natürlich, dass es innerhalb dieser Sprache sechs Dialekte gibt: Tohono O'Odham, Cukuḍ-Kuk-Dialekt, Gigimai-Dialekt, Huhuʼula-Dialekt, Huhuwoṣ-Dialekt, Totoguani-Dialekt. Ich werde diese Vielfalt um einen weiteren Dialekt bereichern: Bayrisches Englisch, das, wie mir eine mitreisende Englischlehrerin versichert, phonetisch irgendwo zwischen dem Huhuʼula-Dialekt und dem Totoguani-Dialekt einzuordnen sei. Ich, Heronimo! Das erste, das ich dem Volk der Wüste beibringe, ist die bayrische Version von „Hugh, ich habe gesprochen“, die da lautet: „Mehr sog i ned!“ Und wenn sie brav sind, dürfen sie dasselbe noch auf Österreichisch lernen: „Hearst!“
  
Mangels Alternativen müssen/dürfen wir gleich nach der Colorado-Brücke wieder ein ordentliches Stück auf der Autobahn radeln. Rund 30 Kilometer geht es aufwärts. Nicht steil, aber kontinuierlich. Selten habe ich mich so über bergauf radeln gefreut. Denn oben ist es kühler als unten. Bei angenehmen 30 Grad steuern wir eine einladende Autobahn-Raststation an, verzichten aber nach der Lektüre dieses Hinweisschildes auf einen Spaziergang im Gelände.


Angesichts der völlig absurden Temperaturen der letzten Tage mit Höchsttemperaturen knapp unter 50 Grad Celsius haben wir uns zu einer superkurzen Frühmorgen-Etappe entschlossen. Nur knapp 40 Kilometer. Wir wußten ja nicht, was uns erwartet. Und so checken wir schon um 09:40 Uhr im Super8 Motel in Quartzsite ein. Hätten wir gewußt, dass die Temperaturen a) insgesammt offenbar auf dem Rückzug sind und b) wir in einer Höhe von lumpigen 400 Metern deutlich angenehmere Grade verzeichnen als unten in der Wüste, dann hätten wir… Egal, war haben nicht und bis Phoenix sind es noch drei sorgsam geplante Sicherheitsetappen. Jeder von uns beiden schleppt 10 Liter Wasser und 5 Kilo Müsliriegel und genug Brotzeit für die San Diego Chargers und ihre Gegner mit. „Wenn wos war, dass ma wos hätt.“

Morgen werden wir den Wecker auf 04:40 stellen und übermorgen noch früher. Nachtradeln ist angesagt. Stirn- und Taschenlampen, Rückleuchten und Warnwesten machen das möglich. So ausgerüstet hoffen wir die letzten paar Etappen durch die Sonorawüste problemlos zu meistern. Hinter Phoenix geht’s erstens Richtung Oktober und zweitens in die Berge, wo die Temperaturen dann hoffentlich wirklich lange Radeltage erlauben. 

Tja, was lässt sich zu Quartzsite sagen? Hm…, also der Bär ist nicht los hier, eher die Schnecke. Quartzsite hält im Sommer Winterschlaf. Hochsaison herrscht von November bis März. Aber nicht, weil dann Schnee hier läge, sondern weil hier KEIN Schnee liegt. Am 18.09.2013 sah es so aus (Die Auswahl der Bilder ist leicht tendenziös, deshalb aber nicht falsch!):

Hier wohnt "Sarge" aus dem Film "Cars"
Angie muß natürlich zum Modeladen
Für heute geschlossen
Jugendzentrum
Kindergarten
Hier wohnt "Doc Hudson" aus dem Film "Cars"
Vor der Disco
Ein Auto, das mit den Augen lächeln kann
Modern! Frauenparkplätze
Ab Oktober fallen aus Kanada und den nördlichen Bundesstaaten der USA marodierende Rentnerhorden in ihren reihenhausgroßen Wohnmobilen wie Heuschreckenschwärme über Quartzsite her. Bis Ende März stören die "Snowbirds" dann die öffentliche Ruhe und Sicherheit mit Bingo-Orgien und Rollator-Ralleys. Aber nicht nur der warme Winter, auch Quartzsites Edelsteinbörsen ziehen im Januar und Februar bis zu einer Million (in Worten: 1.000.000) Besucher an. 

Tja, und dann ist da noch dieses YouTube Video, das zeigt, wie „die Quartzsite-Einwohnerin Jennifer Jones auf Geheiß einzelner Stadtratsmitglieder – und gegen den erklärten Willen des Bürgermeisters – durch örtliche Polizisten angegriffen und verhaftet wird, nachdem sie während einer Stadtratssitzung im Rahmen der Einwohnerfragestunde den Rat der Korruption und des Gesetzesbruches beschuldigte.“… „Nachdem das Video einer breiten Öffentlichkeit bekannt und der Vorfall auch durch die traditionellen Medien aufgegriffen wurde, traf sich der Stadtrat zu einer Geheimsitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit und beschloss sowohl die Absetzung des Bürgermeisters als auch die Ausrufung des Notstandes. Der Bürgermeister, Ed Foster, bezichtigt die örtlichen Behörden und den Stadtrat der Korruption sowie der Veruntreuung und Unterschlagung kommunaler Steuermittel. Stadtratsmitglieder wiesen die Vorwürfe zurück.“ [Quelle: Wikipedia] 

Edelsteinbörsen also! Und 1 Mio Touristen. Und Tausende von reichen Snowbirds mit einer überschaubaren Restlaufzeit. Kurz: Viel Geld auf der einen und ein paar Provinz-Politiker auf der anderen Seite. Und da soll es Korruption geben? NIEMALS! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich betone hier ausdrücklich, dass es keine Rolle spielt, ob provinziell, regional oder national: Politiker sind weltweit immer und überall vom Scheitel bis zur Sohle, innen und außen - integer, sauber, ehrlich, verantwortungsbewußt, selbstlos, kleben nicht an der Macht, sind nicht narzistisch veranlagt und haben immer und überall ausschließlich das Wohl derjenigen im Sinn, die sie zu diesem Zweck dorthin gewählt haben, wo sie jetzt sitzen. Bayern ist wirklich überall. Jetzt fehlt nur noch, dass ein Quartzsiter Stadtrat die seit Jahren illgeal beschäftigte Putzfrau aus dem Stamm der „Tohono O'Odham“ mit Edelsteinen entlohnt, die kanadische Rentnersyndikate in den Griffen ihrer Rollatoren eingeschmuggelt und beim Power-Bingo gegen die örtliche Motorrad-Rockervereinigung „The Hellish 90+“ verloren hat.

Till Senn

5 Kommentare:

  1. Kann es sein, dass die Amakaner WUSSTEN, dass Du kommst und deshalb ein paar spezielle Schikanen auf deinen Weg ... NSA, woasst scho.

    Das mit den Dialekten wusste ich schon - zumindest den Teil, dass Bairisch mit allen Dialekten dieser Welt kompatibel ist, speziell nach ein paar Maß Augustiner. Für Niederbairisch gilt das übrigens ganz besonders. (An dieser Stelle sei Dir und vielen anderen das Buch "Freilich! Unvermeidliche niederbairische Wirtshausgrotesken" von Andrea Limmer ans Herz gelegt. Manche würden sagen, da wird übertrieben, aber ich sag: Geh, Schmarrn.)

    Und übrigens wählen wir gerade blitzsaubere neue Regierungen für überall - und wenn sie "integer, sauber, ehrlich, verantwortungsbewußt, selbstlos" wären, daddn mir sie nicht wählen. (Pelzig zum Thema, sinngemäß: "Ich mochte meine Oma, sie hat immer so streng gerochen. Fremd wurde sie mir erst, als sie anfing, sich zu waschen.")

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  2. He! Ich werde gar nicht mehr um Eingabe einer Buchstaben-Zahlen-Folge gebeten. Kennt mich das Programm schon? "Ah, er scho wieda"?

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    1. Lieber Radlhans,

      nach Deiner Klage bezüglich der Sicherheitsabfrage hab ich selbige abgeschaltet.

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  3. na mia san beim NSA als bajuwarisch dialektisch klassifiziert wor'n und des is doch z'vui für so
    a rechenmaschin'

    aber lasst euch nicht beissen vom Viechalzeig was da kreucht und fleucht

    D' Wies'n geht übermorg'n o...

    und da wer'm die verschollenen aus der grossen Ami Wüste wieda segn

    Servus
    Ihr Zwoa

    JoeB

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