Freitag, 20. September 2013

Warnwesten-Gefühle

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Das Streckenprofil sagt eigentlich schon alles: Drei-einhalb sanfte Richtungsänderungen auf 90 Kilometer. Wer noch nie in den USA war, der versuche sich folgendes vorzustellen, auch wenn es schwer fällt: 45 Kilometer kerzengeradeaus. Absolut geradeaus. Als hätte jemand eine 45 Kilometer hohe und 6 Meter breite Tafel Schokolade aus Teer aufrecht in die Landschaft gestellt - und dann einfach umfallen lassen. Nach diesen 45 Kilometern folgt in einer zurecht unbekannten Ortschaft ein sanfter Rechtsknick und es geht weitere 30 Kilometer kerzengeradeaus... UND - was sonst - leicht bergauf. 

Die heutige Etappe war die erste, die mit 90 Kilometer schon relativ nahe an die bislang noch nicht gerissene 100er-Marke kam. Wieder waren wir um 06.15 Uhr auf den Rädern und im angenehm kühlen Morgengrauen ging es mit 23 km/h ordentlich los. Aber schon kurz nach dem Ortsende von Salome begann die insgesamt 70 Kilometer lange, aber sehr sanfte Steigung, die uns dank leichtem Gegenwind auf lahme 15 km/h abbremste. Egal - bis 11:00 Uhr war alles kein Problem. Autopilot ein - und treten, treten, treten... Diese (Truthahn-?)Geier hatten ihre Radler-Straßensperre jedenfalls vergeblich aufgebaut. 


Natürlich gabs auch heute wieder beeindruckende Kaktusse zu bewundern.


Da wir ja die letzten Tage immer schon vor Sonnenaufgang unterwegs waren und immer genau IN die aufgehende Sonne radelten, macht uns das für die in der selben Richtung fahrenden Autos so gut wie unsichtbar. Ohne Pannenstreifen würde ich das gar nicht erst riskieren. Aber selbst mit Pannenstreifen werfen wir uns die schicken Warnwesten über, damit uns die Autofahrer und Trucker sehen.


Angie beklagte sich ausgiebig darüber, dass es diese Westen nur in dem langweiligen Gelb gäbe. Pink wäre doch vieeeeeel schöner. Dazu noch ein wenig eingearbeiteter Glitzerkram und das Ganze könne sich sehen lassen. Was ist das mit den Frauen und ihren Farben und dem Glitzerkram eigentlich? Egal, was gekauft werden soll, die erste Frage lautet immer: "Gibt es das auch in..." - und dann folgt irgendeine Farbe. Angie hat da diesen schönen Spruch: "Es ist pink, es glitzert, es ist sinnlos. Ich muß es haben!" Zurück zur Warnweste, deren Farbe angeblich nicht zum restlichen Outfit passt. Da gesellt sich ja gleich das nächste Problem dazu. Für einen Mann jedenfalls. Immer muß dieses zu jenem und jenes zum Rest "passen". Ich meine, was ist zum Beispiel gegen die Kombination aus Braun und Schwarz einzuwenden? Erdverbunden, stark, geheimnisvoll. Ist das etwa nichts, frage ich die Frauen dieser Welt? Wenn man als Mann Tag für Tag die Welt vor dem Untergang bewahrt, hat man keinen Nerv für passende Farben! Ist Superman jemals vor seinem Kostüm gestanden und hat gerufen "Ich habe nichts zum Anziehen?" oder "Gelb ist blöd. Gibt es das "S" nicht auch in einer anderen Farbe?" Und um den Ganzen die Krone aufzusetzen, fühlt frau sich mal nach diesen, mal nach jenen Kleindungs- und Schmuckstücken. Und diese Gefühle können sekündlich neue Richtungen einschlagen. Ich vermute, dass aus diesem Grund viele Frauen nicht schon Wochen vorher für den Urlaub packen können. Wie sollen sie heute wissen, wonach sie sich in drei oder vier Wochen fühlen? Oder morgen? Oder in fünf Minuten? Ich erinnere mich noch gut, als mein Freund Robert, Armin und ich für 2 Wochen nach Kreta flogen und beim Einchecken nur Handgepäck angaben. Jeder einen kleinen Rucksack, der farblich zu nichts passte! Die Dame am Schalter war fassungslos: "Zwei Wochen? Nur Handgepäck?" Kopfschütteln. Blick von Robert über Armin zu mir. Schulterzucken. "Guten Flug, die Herren." Das nicht ausgesprochene Wort war unüberhörbar: "MÄNNER!"

Die Sache mit dem "sich nach Klamotten fühlen" erklärt mir auch, wie Frauen es schaffen, vor einem drei Meter breiten, und zum Bersten gefüllten Kleiderschrank mit dem Blick eines Ertrinkenden zu stammeln: "Ich habe nichts zum Anziehen!" Natürlich haben Sie etwas zum Anziehen. Was Sie meinen ist, "nichts,  nach dem ich mich FÜHLE!" Weil sich Angie nicht nach einer gelben Warnweste fühlte, die zudem nicht zum restlichen Outfit passte und keinerlei Glitzerkram aufwies, durfte ich auch das Foto von ihr nicht für den Blog verwenden. "Da sehe ich ja aus, als hätte ich den gelben Sack an!" Wenn ich nächstes Mal zum Hornbach gehe, setze ich denselben Blick auf und rufe verzweifelt "Ich weiß nicht, nach welchem Akkuschrauber ich mich heute fühle!" Wenn mir der Angestellte dann einen Akkuschrauber empfiehlt, stemme ich BEIDE Händen in die Hüften: "Aber der passt doch farblich nicht zur Hilti!"

Tja, solche Überlegungen stellt man an, wenn  man 45 Kilometer kerzengeradeaus und bergauf fährt, wobei die Temperatur minütlich steigt. Am Knick bei Kilometer 45 war die einzige Siedlung auf der gesamten heutigen Etappe und in dieser Siedlung wiederum die einzige Tankstelle. Dort trafen wir Zak und John, zwei junge Tourenradler auf dem Weg nach San Diego.


Zak (links) hat sich nach einer überwundenen Krebserkrankung vorgenommen "etwas Lebendiges" zu machen. Hat seinen Job aufgegeben und ist fünf Monate mit seinem Freund durch die USA geradelt. Im nächsten Video zu dieser Tour stellen sich die beiden kurz vor.

Der Nachmittag begann damit, dass pünktlichst um 12:00 Uhr das Thermometer die 40-Grad Marke erreichte. Und noch 30 Kilometer sanft bergan bei leichtem Gegenwind. Wir mußten in immer kürzeren Intervallen Pausen einlegen, zum Schluss alle 2 - 3 Kilometer. Sobald ein halbwegs ordentlicher Baum oder großer Busch ein wenig Schatten spendete, stellten wir die Räder ab, flohen in den Schatten und versuchten, nicht zu verdampfen. Ich würde mal sagen: dunkel-oranger Bereich. Gerade noch nicht rot, aber viel hat nicht mehr gefehlt. In diesem Fall wären wir einfach bis 17:00 Uhr im Schatten geblieben und danach die restliche Strecke geradelt. Es gibt immer einen Plan B. Aber heute hat auch Plan A funktioniert und nun wissen wir, dass wir bei Temperaturen zwischen 35 und 42 Grad 90 Kilometer radeln können, WENN Wind herrscht. Ohne Wind... Aber daran mag ich nicht denken. Morgen erreichen wir Phoenix, wo wir höchstwahrscheinlich einen Pausentag einlegen.

Till Senn




4 Kommentare:

  1. Pausentag? Ihr hattet doch grade Pause! Wir früher ham doch auch nicht!

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  2. Mei Kinder, informiert euch doch mal. Wasesallesgibt!
    http://www.amazon.de/Tussi-Tour-VIP-Warnweste-pink/dp/B004QOLS20

    (Kommt aber kurz nach Kack-Tusse)

    ;->

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    1. Lieber Oliver, vielen Dank für diesen Link. Die Tour ist gerettet! Zum Dank gibt's bei Gelegenheit mal wieder neue Wasserflaschenbilder.

      Hermann

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