Dienstag, 6. August 2013

Hello Los Angeles

Angie vor dem Wahrzeichen von Los Angeles
Ich bin mehr ein Jäger als ein Sammler. Ausdrücklich ausgenommen davon sind Meilen, die ich seit 2007 verbissen sammle.  Ha! Und heute löse ich einen Teil davon in Komfort ein. Die 13 Stunden im Flugzeug verbringe ich nämlich in der Business Class. Nieder mit dem Pöbel, es lebe die Dekadenz! Während sich vor den Schaltern der Economy Class Heerscharen von Fluggästen drängeln und die uniformierten Fluggast-Lotsen alle Hände voll zu tun haben, die Meute wie eine riesige Schafherde in geordnete Zick-Zack-Bahnen zu zwängen, trotte ich mutterseelenallein (neben dem roten Teppich, ich bin doch kein Schnösel!) auf den Business-Class Schalter zu und zeige der Dame am Schalter die in der Eingangshalle frisch gedruckten Bordkarten vor. Nr. 1 von München nach Frankfurt, Nr. 2 von Frankfurt nach Los Angeles vor. Die Dame wirft einen kurzen Blick auf die Bordkarte und dann die Stirn in Falten:
 „Haben Sie ein Visum?“
„Aber ja“, antworte ich und drücke ihr meinen Reisepass mit dem 6-Monats Visum in die Hand. Sie guckt und sagt „Hm…“ Mein Ruhepuls ruht nicht mehr und innerhalb von Sekundenbruchteilen jagen mir mehr Horrorphantasien durch den Kopf als Stephen King in „Shining“, „Es“ und „Friedhof der Kuscheltiere“ gemeinsam ersinnen konnte. 
Die Dame erläutert: „Das Ablaufdatum auf der Bordkarte fehlt mal sehen, ob es akzeptiert wird, wenn ich es nochmal eintippe. Wenn nicht, können Sie nicht fliegen.“ Ich addiere im Kopf noch schnell alle sieben Bände von Kings „Der dunkle Turm“ sowie die gesammelten Werke von Edgar Allan Poe zu meinem Horrorgebilde dazu. Die Dame tippt, nickt und sagt „Na also“. Manchmal fühle ich mich so müde, so unendlich müde.
5 Minuten  später trinke ich im „Airbräu“ vor dem MAC den ersten Schluck Airbräu und versuche vergeblich, mir nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn…. „Nein“, weise ich mich schließlich zurecht, „nein!“ Dann trinke den zweiten Schluck, danch den dritten und wenig später bestelle ich zu den Käsespätzle mit Röstzwiebeln und Salat die zweite Halbe. Dunkel ist zu Hell geworden. Prost!

Ich übernachte im Novotel am Flughafen, wo ich den Weckdienst auf 04:00 uhr ordere. Meinen Handy-Wecker stelle ich auf 03:59 Uhr und einen Online-Wecker auf 03:58 Uhr. Sag mir keiner, dass ich paranoid sei, ja? Sicher ist sicher und aller guten Dinge sind bekanntlich drei, nicht wahr? Ein Wecker ist was für Zauderer, drei Wecker zeugen von unbändigem Willen und klarem Geist. 
Um 02:20 Uhr schlage ich ohne Fremdeinwirkung die Augen auf und bin hellwach, denn es könnten ja vielleicht alle drei Wecker… Nein, nichts riskieren. Ich bleibe wach. Um Punkt 04:00 Uhr mache ich mich auf den kurzen Weg zum Flughafen, wo mich eine Verspätungsmeldung meines Fluges nach Frankfurt begrüßt. Eine Zeit wird allerdings nicht genannt. „Verspätung“ heißt es. Mein Puls hat wieder Aufwärtstrend. Großartig. Dann erinnere ich mich an den Hinweis der freundlichen Schalter-Dame, dass wegen der Terrordrohungen die Sicherheitskontrollen in Frankfurt für USA-Flüge derart verschärft wurden, dass man mit bis zu 2 Stunden Umsteigezeit rechnen muß. Hat sie nicht viel zu mitleidig geguckt, als sie mir das so nebenbei erzählt hat? War es gar nicht nebenbei? Wollte Sie mir nur gestern schon die Chance geben, mich eine Nacht auf das Unvermeidliche vorzubereiten, auf das Aus vor dem Beginn? Bestimmt wußte sie genau, dass der Flieger heute Verspätung hat und ich wegen der Terrordrohungen sowieso keine Chance… Hallo Stephen, hallo Edgar, wie habe ich euch vermißt! 
Mit 45 Minuten Verspätung startet das Flugzeug. Wie grausam kann die Welt sein. Da lassen sie mich noch bis Frankfurt, nur damit ich dann dem Flieger zum Abschied noch kurz zuwinken kann, während ich als Passagier 1.823 zur Sicherheitskontrolle anstehe. Nun ja, vielleicht klappt es ja doch noch. Nicht aufgeben, Hermann, nicht aufgeben. Immer weitermachen, immer weitermachen. Weil ich in meiner vorausschauenden Art, die gewisse andere Personen „Hysterie“ nennen, den ursprünglich für 08:00 uhr geplanten Frankfurtflug auf 06:00 uhr umbuchen ließ, hätte ich nun trotz der 45 minuten Verspätung immer noch 1,45 Stunden Zeit für das Umsteigen. Also genau 15 Minuten zuwenig, falls das mit den 2 Stunden Wartezeit bei den Sicherheitsdingens wegen der Terrordingens bewahrheiten sollte. Mein Blutdruck erklimmt ungeahnte Höhen. Kurz vor der Landung in Frankfurt die Durchsage „Liebe Fluggäste, uns wurde eine Außenposition zugewiesen. Wir erwarten einen Bus, der Sie zum Terminal bringen wird.“ „Was solls“, denke ich mir, „was solls. War ein schöner Flug bis Frankfurt. Frankfurt ist auch schön. Außerdem gibt’s hier viele Mietautos. Ich leihe mir eins und fahre schnurstracks zurück nach Altötting, wo ich mir das größte aller Kreuze ausleihe und den Kapellplatz in Trümmer lege. Zum Auftakt. Danach folgt ein Kreuzzug gegen Terroristen. Und wenn ich schon dabei bin, knöpfe ich mir anschließend noch die  Post, die Telekom, die Bahn und meinen neuesten Lieblingsfeind EON vor.
Die Busfahrt ist kurz, die zweite Sicherheitskontrolle findet aus unerfindlichen Gründen nicht statt und so kommt es, dass ich plötzlich 90 Minuten zuviel habe und einfach nur herumsitzen kann. Niemand sagt „Hermann, tu doch was.“ Mein Puls ist ruhig, die Welt in Ordnung. Weil ich ja Nobelklasse fliege, darf ich die heiligen Hallen der Business Lounge betreten. Und bin entsetzt. Die Atmosphäre dort lässt sich meiner Meinung nach am ehesten beschreiben als eine Mischung zwischen der Tokyoter Börse und einem Verbandstreffen aller Kreuzberger Mutter-Kind-Gruppen samt deren Kindern.  Ähnliches hatte ich bisher nur zur Eröffnung des Sommerschlußverkaufs und bei Fütterung im Hellabrunner Affengehege erlebt. Meine Güte, welch ein Radau. Den Business-Kaspern klebt die Unterhaltungselektronik am Ohr wie der Zeck am Wadel und Myriaden von Brüllern machen ihren Müttern und dem Rest der Welt unmißverständlich klar, dass 6:25 Uhr definitiv zu früh zum Wachsein ist.
„Wow“, denke ich mir, „wenn das die Business Lounge ist, dann bleibe ich lieber beim Pöbel“. Was ich tue und schon ist die Welt wieder in Ordnung.
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„Sie fliegen heute mit einer nagelneuen Boeing 747, der Königin der Lüfte“, kündigt der „Purser“ an. Der Begriff „Purser“  bedeutet soviel wie Proviant- oder Zahlmeister. Vermutlich hat irgendwann irgendwer irgendwas von wegen „Steward ist altmodisch“ genuschelt. Danach haben Arbeitsgruppen ein paar Monate beraten und danach hießen Stewards auf einmal Purser. Warum auch nicht. Raider heißt ja auch neuerdings Twix.

Vivaldis „Gloria“ ist das musikalische Äquivalent zur Business Class. Jedenfalls für mich, den bisherigen Economisten. Leute, ich kann euch sagen… Das aller-aller-allergenialste ist der Sitz, der sich per Knopfdruck zum absolut flachen und bequemen Bett machen lässt. Dazu ein Kopfkissen, eine Decke und die 12 Stunden Flug vergehen… äh… wie im Flug. Blöd ist es nur, wenn man das Tablett zum Essen ausgeklappt hat und dann aus Versehen die Sitzposition per Knopfdruck ändert. Gut, dass die Halterung des Tabletts sehr elastisch war und keine Reißnägel an der Unterseite des Tabletts waren. Peinlich, aber es weiß ja gottseidank außer mir kein Mensch.

In Los Angeles hat mich Angie mit einem selbstgemalten Schild „MR. PLASA“ begrüßt. Weil es nicht pink war, glaube ich erst nicht, dass es tatsächlich von Angie stammt. Aber vermutlich war ihr der Nagellack nur zu schade.
Der Weg ins Hotel war kurz und ich saumüde. Bis um kurz nach 18:00 Uhr Ortszeit (03:00 Uhr deutsche Zeit) konnte ich mich noch irgendwie auf den Beinen halten, aber dann bin ich im Stehen eingeschlafen. Nur gut, dass ich da schon auf dem Bett lag. Um 02:00 Uhr morgens war ich wieder wach. Aber das kenne ich ja: Jet lag für 3 - 4 Tage.

Till Senn

6 Kommentare:

  1. Hi Män,

    somit wink ich Dir und Euch noch schriftlich hinterher. Habt eine gute Zeit. Ich werde hier fleißig mitlesen.

    Beste Grüße,
    Oli

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  2. Hi Till,

    ja, das ist ein würdiger Auftakt - weiter so! Ich hoffe, dass Dir die "Amakaner" (Innenminister Friedrich) jeden Tag ordentlich einen einschenken, damit ich was zum Lesen habe - aber erst, wenn ich aus Bolivien zurück bin (bei mir wird übrigens mit dem Flug alles glatt gehen Flug alles glatt gehen Flug alles glatt gehen).

    Pride & prejudice,
    Radlhans

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  3. Servus Radlhans,

    alle sind immer weg! Radlpeter und Radlingrid in Bayreuth, Du in Bolivien, wir bei den Amakanern. Ich werde mich nach Kräften darum bemühen, dass die Leserfreude umgekehrt proportional zur Autorenstimmung bleibt. Die Finsternis in meiner Seele möge Dein Herz erleuchten. Oder so.

    Ergebenst

    Till Senn

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  4. Na, das war ja schon ein - äh - "interessanter" Start. Ich hoffe Dein Adrenalinspiegel ist nach dem Flug wieder auf Normalnull gewesen. Ich freue mich auf die folgenden spannenden Berichte hier im Blog. Euch beiden wünsche ich gute Fahrt!

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  5. Ah ja, bei mir ist übrigens mit dem Flog alles gltt ggangn ...: Durchsage in MUC: "Flug nach Madrid hat technische Probleme. Eine Stunde später." Dann Boarding. Durchsage: "Technische Probleme. Bitte schalten Sie alle Ihre Handys aus.". Werden auf Rollfeld gezogen. Stehen auf Rollfeld. Werden zurück in Parkposition gezogen. "Technische Probleme." Werden zurück auf Rollfeld gezogen. "Gleich geht's los." Halbe Stunde später: Es geht los.
    Madrid: "Anschluss nach Lima weg. Wir sie Hotel bringt." Halb zwei morgens: Mittagessen und eine Flasche Wein. Halb drei Bett. Nächster Tag Mittag: Flug Lima. Füüünf Stuuunden Aufenthalt auf interessantem Flughafen. Weiterflug nach La Paz. Gepäck nicht da. Gschiss.
    Sonntagnacht: Schlafen.
    Montag: kein Gepäck.
    Dienstag: kein Gepäck.
    Mittwoch: Gepäck!
    Aber sonst ging's.

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    1. AUA! Mein lieber Radlhans, das klingt nach vielen unterhaltsamen Donnerstagsabend-Stammtischgeschichten für die Meute der schadenfreudigen Basketballer. Du meine Güte... und ICH reg mich auf? Nie wieder reg ich mich über nichts mehr auf. Nie wieder. Gut, dass wir beide so ruhig und gelassen bleiben können, wenn alles schief geht. (Schön, dass Du wieder zurück bist!)

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