Sonntag, 13. Oktober 2013

No country fo old men


Bilder zum Vergrößern anklicken

Fort Davis - Marathon - Sanderson - Langtry - Comstock (Texas)
Herrschaften, ich bin müde und geschafft. Bitte verzeiht mir, dass ich heute keinerlei Korrekturlesung vornehme sondern nach dem letzten Buchstaben auf "Veröffentlichen" klicke. Es ist 23:02 Uhr und das Bett hat eine magnetische Anziehungskraft, der ich nicht mehr lange widerstehen kann."

Zwischen Fort Davis und Del Rio liegen über 400 Kilometer, aber nur drei Städte und zwei Siedlungen mit Übernachtungs- bzw. Einkaufsmöglichkeit. Fast hätten wir es in den geplanten 4 Tagesetappen nach Del Rio geschafft. Fast! Aber dann kam zum nicht enden wollenden Gegenwind, der ebenfalls nicht enden wollenden Rumpelstraße und den erst recht nicht enden wollenden Hügeln der Regen. Und der hat uns dann doch den Rest gegeben und wir sind pudelnass, hungrig und ein wenig frustriert in Comstock, Texas gestrandet.

So eklig der heutige Tag auch war (so richtig zum alles Hinwerfen und beleidigt mit dem Kopf an die Wand rennen), so traumhaft waren die ersten beiden Tagesetappen. Den Anfang machte die Strecke von Fort Davis nach Marathon. Nach einem faulen und erholsamen Pausentag genossen wir die weiterhin wildwestromantischen Canyons zu Füßen der Puertacitas Mountanis.



Angie, die meist weit vor mir fährt, bleibt plötzlich stehen, läuft ein paar Schritte zurück und guckt auf die Straße. Was sieht sie da? Das da:


Meine Schlangen- und Spinnenangst ist ja hinlänglich bekannt. Alles, was 8 Beine hat und einenen größeren Körper als ein 1-Cent-Stück, ist für mich eine Monsterspinne. Diese Monsterspinne läuft gemütlich auf der Fahrbahn dahin. Weil Angie und ich am Straßenrand nahe der Monsterspinne stehen, machen vorbeifahrende Autos einen Bogen um uns - und um die Monsterspinne. Unsere Bemühungen, das Tier in den sicheren Straßengraben zu scheuchen, enden damit, dass sie sich hinsetzt und überhaupt nicht mehr vom Fleck rührt. Also zerre ich mein Fotostativ vom Gepäckträger und stupse das dämliche Ding sooft an, bis es sich endlich in den Straßengraben verzieht, wo sie sich uns noch einmal kurz zuwendet und einen beleidigten Blick zuwirft. DAS ist der Dank! Da überwindet man seine Angst und nähert sich dem Monster auf weniger als 1 Meter, rettet dem suizidalen 8-Beiner das Leben - und DAS ist der Dank! Ein beleidigter Blick. Nun ja, es ist DIE Spinne! Tom (Bruder Tom), was hättest Du getan :-)

Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, dass ich 1 - 3 Platten pro Tag habe. Schläuche flicken bzw. auswechseln kann ich mittlerweile im Schlaf und wenn ich wach bin, bleibe ich dazu nicht einmal mehr stehen. Aber erstens nervt das auf die Dauer gewaltig und zweitens sehen die Reifen mittlerweile aus, als hätten sie die Pocken. Das Profil ist komplett weg, dafür Löcher und kleine Krater zum Abwinken, aus denen ich Glassplitter, Dornen, Nägel und Draht rausgepuhlt habe. Bis Austin sind es noch knapp 1.000 Kilometer. Gefällt mir nicht. Aber in Alpine, keine 50 Kilometer von Fort Davis entfernt, wohnt der "Bike Man", ein Radladen, den wir auch schnurstracks ansteuern. Und siehe da, der bike man hat "Schwalbe Marathon Plus" Reifen in der passenden Größe. Eine Seltenheit. Selbst größere Radläden zucken nur die Achseln, wenn ich "Schwalbe Marathon Plus" sage. Egal - ich brauche zwei davon und der bike man hat... zwei Stück. Wunderbar. Dazu noch 4 Ersatzschläuche und 20 selbstklebende Flicken. Ich bin gerüstet für die nächsten... 2 Tage. Vor dem Radladen treffen wir auf einen Tourenradler mit dem wohl ausgefallensten Rad, das mir bislang begegnet ist: Ein Liegerad aus Bambus!


Und weiter gehts auf dem Hwy 90, und zwar in der Richtung, die hier NICHT zu lesen ist: EAST. Die Stadt Marathon ist das Tagesziel. 


Dann sehe ich dieses ... Ding am rechten Straßenrand:


Zuerst  hielt ich es für ein Kunstwerk, dann für einen Gag, aber schließlich sehe ich die Jahreszahlen 1952 - 2012. Hm... wer ist, genauer gesagt, wer WAR Rene Joseph Ulmenschneider? Eine kurze Recherche im Internet bringt die traurige Wahrheit ans Licht: Rene Joseph Ulmenschneider lebte in Marathon und war ein passionierter Radfahrer. Bis ihn an exakt dieser Stelle eine angetrunkene Autofahrerin über den Haufen fuhr. 

Nach 92 flotten Kilometern erreichten wir Marathon schon am mittleren Nachmittag. So kann es weitergehen.


Zum Abendessen packen wir den Kocher aus. Der Dorfladen hatte Pesto! Unglaublich
Auch der nächste Tag und seine 90 Kilometer von Marathon bis Sanderson gehörten zu den Leckerbissen dieser Tour: einsam, endlos, friedlich, still. Mit "still" meine ich die Abwesenheit von Motoren- oder sonstigem Zivilisationslärm. Bergsteiger wissen, wovon ich rede, Motorradfahrer nicht (solange sie Motorrad fahren).






Die Probleme begannen, als wir Sanderson verließen und die 132 Kilometer zum Seminole Campground in Angriff nahmen. "Rolling Hills", übersetzt "Allgäu", machten das Vorwärtskommen schwer und zunehmender Gegenwind zog uns langsam, aber sicher den Zahn. Bei einer wind- und geländebedingten Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 - 12 Km/h ist die Sache leicht auszurechnen: Verfügbar sind 12 Stunden Zeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Für 132 Kilometer brauchst Du mit 12 km/h 11, mit 10 km/h 13 Stunden. Und zwar Netto-Fahrzeit. Dazu kommen die Dehn, Erholungs- Eß- und Trinkpausen. Schlußfolgerung: Geht nicht! Was tun? Hoffen, dass sich was ergibt oder notfalls das Zelt halt irgendwo aufschlagen und ungeduscht ins Zelt kriechen.

Der amerikanische Autor Cormac McCarthy hat "No country for old men" geschrieben. Das Buch wurde 2007 von den Cohen Brüdern verfilmt. In den Hauptrollen Tommy Lee Jones als Sheriff und Javier Bardem als eiskalter Killer. "No country for old men" spielt genau in dieser Gegend, durch die wir heute radeln. Tommy Lee Jones alias Tom Bell ist Sheriff von Sanderson, einer sterbenden Kleinstadt mitten im texanischen Nirgendwo, einer sterbenden Kleinstadt, in der wir vorgestern in einem zweitklassigen Motel übernachteten. Cormac McCarthys Bücher sind wie diese Landschaft, durch die wir uns nun zwei-einhalb Tage mühsam vorangekämpft haben: erbarmungslos, schonungslos, hart und von einer spröden Schönheit, wie sie nur Wüsten haben. Ich kann jedem Leser sowohl das Buch, als auch den Film empfehlen. ABER Cormac McCarthy schreibt keine Geschichten für den kleinen Hunger zwischendurch. Seine Bücher sind schwer- bis schwerstverdaulich. In der Eröffnungsszene des Films erzählt Sheriff Bell und man sieht dazu die Bilder dieser Landschaft. Es spielt keine Rolle, ob man das texanische Englisch von Tommy Lee Jones versteht oder nicht. Der Klang passt zur Landschaft und die Bilder sprechen sowieso für sich. Am Ende dieses Blogbeitrags folgt dieses Video. Jetzt aber - ohne große Worte - Bilder von unserem Weg durch "no country for old men."

fast 200 Kilometer auf-ab-auf-ab-auf-ab...

Unterwegs tote Siedlungen. In den Autos liegen die Dinge, die drin lagen, als der Besitzer zum letzten Mal ausgestiegen ist, das Auto einfach stehen gelassen und sein Haus für immer verlassen hat. 



Nervlich und körperlich ordentlich mitgenommen vom Gegenwind und den endlosen Hügeln gibt uns der Regen den Rest. Ein erster Guß durchnässt uns im freien Gelände bis auf die Haut - regendichte Klamotten hin oder her. Da hätten wir genauso gut Tempotaschentücher auf der Haut tragen können. Wir rollen ein paar hundert Meter zurück zu einer verfallenen Tankstelle, wo wir trockene Klamotten anziehen.

In einer verfallen Tankstelle auf der Suche nach trockenen Klamotten
Dem Gegenwind konnte auch dieses Dach  nicht standhalten
Es ist bereits 13:00 Uhr und wir haben noch 80 Kilometer vor uns und nur noch einen Satz trockene Klamotten in den Taschen. Also los... und 300 Meter vor der 20 Kilometer weiter gelegenen Siedlung Comstock erwischt es uns wieder in freiem Gelände. Tropfnass erreichen wir Comstock, sehen uns ratlos um - und erblicken ein Motel. Tja, und in dem sitzen wir nun und lecken unsere Wunden. Wir durften den Trockner benutzen, um die (ungewaschenen) Sachen wenigstens wieder anziehen zu können. 


Für morgen ist 40% Regenwahrscheinlichkeit vorhergesagt. Bis Del Rio sind es noch 60 Kilometer durch "no country for old men." Die werden wir auch noch schaffen. Irgendwie. In Del Rio haben wir alle Wüsten hinter uns. Rund 2.000 der bisherigen 2.400 Kilometer dieser Tour waren Wüstenkilometer. 

Und hier ist sie, die Eröffnungsszene von "No country for old men." Immer dran denken: Hier sind wir die letzten paar Tage durchgeradelt.


8 Kommentare:

  1. Irgendwie hat man den Eindruck, es müsste "no country for NO men" heißen ...
    Und "mountains" schreibt man "mountains", nicht "mountanis". Ein wenig Konzetntraton wird man wohl verlangen dürfen!
    Und noch eine kleine Frage: Kopf oder Zahl? (Die Stiefel hab ich schon ausgezogen)

    Never surrender,
    Radlhans

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ob der Wille "mountanis" versetzen kann? Ich wußte, dass ich auf Dich zählen kann und werde den Tippfehler bei nächster Gelegenheit korrigieren. Und die anderen 37 Fehler, die vermutlich noch drin sind. "Kopf oder Zahl", genau. In der Originalversion sagt er ja nur "Call". Also sage ich: "Kopf". Ansonsten regnet es draußen und wir freuen uns über ein weiteres schönes 60 Kilometer Bad bis Del Rio.

      Hermann

      Löschen
  2. Hermann lass Dich drücken: Leute nehmt euch ein bisschen Zeit. Den Cormac McCarthy, fangt Ihr an mit der Border Trilogy ( All the Pretty Horses, The Crossing, and Cities of the Plain) dann seid Ihr erst bereit für "no country". Wer mit Hörbüchern was anfangen kann... die Triologie gibts fast umsonst auf audible/amazon, aber wg. der Kürzungen sollte man den Leuten das Hirn wegblasen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich hab die ungekürzte Version des Hörbuches im englischen Original. Unschlagbar, absolut unschlagbar.

      Löschen
  3. Sehr interessant ist auch die Tötungsmethode von Javier Bardem mit Nagelpistole. Daher wahrscheinlich die vielen Nägel am Wegesrand.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Radlpeter, wenn ich mich recht erinnere, war es ein pressluftgetriebener Bolzenschussapparat. Aber die Hypothese an sich ist gut.

      Löschen
  4. Hi Herman

    und lass Dich nicht von den Alten Männern verrückt machen
    Bolzenschussapparat von HILTI mit AKKu habe ich noch nicht gesehen

    Doch Bald werdet Ihr in der Luft den zarten Hauch von Meeressalz riechen
    Ihr werdet die Nüstern blähen wie dereinst FURY und Ihr werdet Eurem Ziel
    dem Meer wieder ein Stück näher sein

    Also 2 x Schwalbe Marathon ist einmal Mehr als erforderlich
    I Hope

    Liebe Grüße
    JOEB

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hey Joe, keine Bange, ich lass mich nicht verrückt machen. Zum nächsten Meer (Golf von Mexiko) sind es zwar noch knapp 1.800 Kilometer, aber da wir einen touristenvisumbedingten Zwangs-Zwischenurlaub in Mexiko einlegen müssen, werde ich schon früher Meeresluft atmen. Mit dem Bike-Shop in Austin hab ich schon telefoniert: 4 Schwalbe Marathon Plus Reifen warten dort bereits auf uns bzw. unsere Räder :-)

      Löschen