Sonntag, 6. Oktober 2013

Texas


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Hatch (New Mexico) to Fort Hancock (Texas)
Die Stadt Hatch nennt sich stolz "Chili-Zentrum der Welt". Chili aus Hatch gilt als besonders scharf. Der Autor kann das bestätigen. Er krächzt jetzt noch von der stecknadelkopfgroßen Kostprobe. 


Unser Motelzimmer in Hatch steht dem Ruf nach Weltmeisterlichkeit in nichts nach: Es war das "Fliegen-Zentrum der Welt". Angie, ich und ungefähr 150 Fliegen teilten sich ein Zimmer. Es herrschte Krieg von der ersten Minute an, aber die Menschen hatten keine Chance. Von wegen "Herr der Fliegen"! Nie zuvor habe ich soviele Fliegen in einem Raum gesehen, nicht einmal in einem Fliegen-Zucht-Raum. Nichts wie weg aus Hatch. Als wir am nächsten Morgen die Karte studieren, sehen wir, dass die Route weiterhin am Rio Grande entlang führt. Schön, Radeln am Fluß! Verwöhnt von Flüssen wie Missouri River, Mississippi River oder Ohio River trifft uns der armselige Anblick eines trockenen Rio Grande hart. Wo ist das Wasser!


Der Fluss mit dem klingenden Namen sieht schlimmer aus wie der Harter Mühlbach nach einer der jährlichen Trockenlegungsaktionen. Gut 100 Kilometer weiter südlich ist nicht mal mehr eine Pfütze vorhanden. Statt Wasser sind nur Autospuren im staubtrockenen Flussbett zu sehen. 


Der Rio Grande entspringt in Colorado und mündet - eigentlich - in den Golf von Mexiko. Weil immer mehr Felder zu beiden Seiten des Rio Grande (= in Mexiko und den USA) angelegt und dann bewässert werden, wird dem Fluß das Wasser komplett entzogen. Frei nach dem Motto "Nach uns die Trockenheit" machen Bauern, was Bauern in aller Welt gerne machen: mit brachialen Mitteln individuelle Nahziele verfolgen und sich einen Dreck um die Folgen ihres Tuns scheren. Die USA schieben alles auf die mexikanischen Farmer, die mexikanischen Farmer alles auf die amerikanischen Bauern. Heissa, das alte "Du-Bist-Schuld-Spiel". Die Krone der Schöpfung bei einem ihrer Schöpfungsakte. Selten hat mich ein Anblick mehr deprimiert als dieser verdurstete Gigant.

Nächste Station ist die Stadt Las Cruces, Nach Albuquerque und noch vor Santa Fe die zweitgrößte Stadt New Mexicos. Billy the Kid hat hier viele Jahre fleißig an seinem zweifelhaften Ruf gearbeitet, bevor er von Sheriff Pat Garret erschossen wurde. Ein ehemaliger Klassenkamerad hat in Las Cruzes eine Weile gelebt / studiert / gearbeitet und empfahl uns die im Süden angrenzende historische Altstadt von "Mesilla" , speziell zwei Restaurants mit excellenter mexikanischer Küche. Tja... auf die Idee sind neben Angie und mir noch ungefähr 3.7 Millionen andere gekommen. Und weil wir pünktlich zum Wochenende dort eintrudelten, waren zwar unsere Mägen leer, aber die Hotels voll. Also mußten wir ausweichen, fanden aber dennoch eines der besten italienischen Restaurants meiner Karriere als Esser. Und das in den USA, wo nicht das Kochen sondern das Essen meist eine Kunst ist.

Mesilla war eine schillernde Stadt. Wenn hier einer eines natürlichen Todes starb, wurde das extra urkundlich erwähnt. Bordelle, Bars, Saloons, Glücksspiel, Hahnenkämpfe und ähnliche Freizeitbeschäftigungen zogen zwielichtige Gestalten und Outlaws an. Billy the Kid wurde 1881 in diesem (damals Gerichts-) Gebäude zum Tode verurteilt.


In Heimatkunde haben wir gelernt, dass Billy 14 Tage später fliehen konnte und anschließend von Sheriff Pat Garret gejagt wurde. Weil Billy jedoch entgegen Pat Garrets Empfehlung in New Mexico blieb, machte Pat den guten bzw. bösen Billy schließlich mit einem "verdammten Stück Blei" aus seinem Colt zu Billy the Dead. Ich mag Heimatkunde.

Auf dem weiteren Weg nach El Paso durchqueren bzw. passieren wir Orte wie Mesquite, San Miguel, La Mesa, Chamberino, die nun allesamt gar nicht besonders amerikanisch klingen. Kein Wunder, denn wir nähern uns der mexikanischen Grenze in Riesenschritten. Zum Glück können wir uns mit Englisch aber noch so einigermaßen durchschlagen. Kurz vor El Paso erreichen wir nach Kalifornien, Arizona und New Mexico den vierten Bundesstaat: Texas. In einem anderen Blog zu einer anderen Reise hatte ich einmal geschrieben: "Ein Nichtschwimmer auf der Titanic hat es einfacher als ein Vegetarier in Texas". Mal sehen, wieviel ich abnehme bis Louisiana. 

Leider fehlte es auf unserer Route das "Welcome-Schild" und ich mußte mir eines aus dem Internet klauen.

Quelle: http://blog.vembu.com/wp-content/uploads/2013/04/Welcome-to-Texas1.jpg
Die Grenzstadt El Paso hat es in meiner Hit-Liste der fahrradfeindlichsten Städte im bekannten Universum im Handumdrehen geschafft, mit der bisherigen Nr. 1 Miami gleichzuziehen. Herminator on Tour, kann ich euch sagen. Nur dass diese elenden (aus strafrechtlich relevanten Gründen verzichte ich auf das einzig angemessene Vokabular für diese ---beeep---) .... in ihren Blechkisten leider stärker sind als wir auf unseren Rädern. In solchen Situationen wird mir schlagartig bewußt, warum es in den USA soviele Tote durch Schießereien gibt. Hätte ich eine Schußwaffe zur Hand gehabt, hätte ich jetzt Pat Garret am Hals.

Irgendwie und irgendwann hatten wir uns unversehrt durch den Moloch gemogelt. Das Gute daran: der Horrortrip hat meine Killerphantasien beflügelt. Vielleicht sollte ich doch damit beginnen, Groschenromane zu schreiben. Der Radlhans kennt Dan Shocker und würde mir bestimmt das erste Heft abkaufen. Der Held ist ein (räusper) gutaussehender Triathlet mit einem IQ von 172, schwarzem, vollen Haar sowie dem obligatorischen fotografischen Gedächtnis (welcher Held hat heutzutage KEIN fotografisches Gedächtnis?), der infolge eines (durch einen Verkehrsrowdy verursachten) Unfalles ins Koma fällt, alles Hab und Gut verliert, nach 10 Monaten aber aus dem Koma erwacht, sofort 50 Liegestützen hinlegt, in den Klamotten seines Pflegers aus der Klinik abhaut und sich in einer einsamen Berghütte direkt am Meer ein riesiges Arsenal an Schuß- Wurf- und Stichwaffen zulegt (die alle in Koffern mit passend ausgehöhltem Schaumgummi geliefert werden), danach bei einem 97-jährigen asiatischen Meister alle erdenklichen Nahkampftechniken von der Pike auf erlernt, wobei er nach jeder Niederlage "Danke für die Lektion, Meister" sagen muß, und am Ende, als ER den MEISTER besiegt hat, endlich seinen Feldzug gegen die Bösen dieser Welt startet. Welch ein Plot! Vielschichtig, verwunden und unvorhersehbar... Der Stoff, aus dem die Träume sind. Wie dem auch sei, am südlichen Stadtrand von El Paso erreichen wir Grenze zu Mexiko. 


Rein theoretisch könnten wir über diese Brücke nach Mexiko gehen. Rein praktisch auch. Aber wozu sollten wir das tun? Wir überleben ja hier schon kaum. Also tasten wir uns weiterhin vorsichtig gen Osten voran. Irgendwann muß diese elende Stadt ja einmal zu Ende sein.


Auf einmal sehen wir Wasser. Wasser? Klar, wir fahren am Rio Grande entlang... aber WASSER? Staub wäre eine klare Angelegenheit, aber Wasser? Ein Blick in die Karte klärt die Sache: das Wasser gehört dem Rio Grande KANAL und nicht dem Rio Grande. Ahhh ja! Der Fluß ist leer, der Kanal voll und meine Welt wieder in Ordnung.


Der Rio Grande bildet die natürliche Grenze zu Mexiko. Weil Freibäder in Mexiko so populär sind wie Frauenrechte im Iran, ist die Wassergrenze sicherer als ein Stacheldrahtzaun. Theoretisch! Aber praktisch durch ein trockenes Flußbett laufen dürfte nicht so schwierig sein. Hm.... vermutlich ist das Austrocknen des Rio Grande in Wirklichkeit ein von langer Hand geplantes Sabotageverfahren der Mexikaner, um den Bürgern die AusWANDERUNG in die USA zu erleichtern. Heißt ja auch Auswanderung und nicht Ausschwimmung. Genau! So muß es sein. Der Mexikaner ist schon ein Hund! Leget mal eben den Rio Grande trocken, statt den Leuten das Schwimmen beizubringen.

Irgendwann lag El Paso tatsächlich hinter uns, und vieeeeel Texas vor uns. Nach Alaska ist Texas der zweitgrößte aller Bundesstaaten und fast 10 Mal so groß wie Bayern. Rund 1.800 Kilometer werden wir durch den "Lone Star State" radeln, bevor wir Louisiana erreichen.


In Fort Hancock finden wir ein nettes Motel - und das hier:


Was fehlt? Außer Angie, meine ich? Genau, der Apostroph. In Amerika ist der nämlich üblich bzw. Pflicht, in Deutschland war es ja lange der Deppen-Apostroph, bevor ihn die Herrscher über die Deutsche Sprache legalisiert haben. In dies'em S'inne - macht's gut.

Till Senn

P.S. Lange Distanzen und berufliche Hausaufgaben machen es mir im Moment unmöglich, an den Videos weiterzubasteln. Vielleicht legen wir ja mal wieder einen Pausentag ein. Wenn das der Radelhans erlaubt.


9 Kommentare:

  1. Es freut mich, dass ihr gut durch den Moloch El Paso gekommen seid...und das mit der Radlfahrerfeindlichkeit in El Paso kann ich nur bestätigen (ELP ist ne Autofahrerstadt und Radlfahrer werden einfach wegignoriert)

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  2. 1) Die Handlung Deines Romans ist noch zu kompliziert und unübersichtlich, also unamerikanisch und un-dan-shockerig. Straffen.
    2) Rio Grande: Siehe Jordan/Israel, Aralsee/Kasachstan. To be continued.
    3) Nix da Pausentag.

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  3. Außerdem, he: warum spricht man "Tier" wie "Tier" und nicht "Teia" wie die Amakaner sonst normal?

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    1. Lieber Radlhans, das weiß der Himmel oder die Hölle. Denke nur an Height oder Weight: gleich geschrieben, unterschiedlich ausgesprochen. Wir Harter (harte Hunde aus Hart an der Alz) sagen zu Steine "Stoaner", während die Hirtener (auf der anderen Alzseite) "Steana" sagen. Wenn Du jetzt mal darüber nachdenkst, wie die Menschen jenseits des Rio Grande sprechen, dann ist "Tier" und "Teia" ja fast schon dasselbe. - Hermann

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  4. Oder weil Ihr vielleicht "harte Tiere" seid ?
    Und apropos Hirtener: In Niederbayern sagt man für hart "hirt". So gesehen wären die Hirtener härter als die Harter.

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    1. Gefällt mir... Hirtener härter als die Harter. Die nächste Halbe geht auf mich!

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  5. Wenn da Dog lang is, werd ganz sche vui Schmarrn vazoid - diesseits und jenseits des Rio Grande und der Oiz.

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