Mittwoch, 9. Oktober 2013

High Desert


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Fort Hancock - Van Horn - Fort Davis (2 Tage, 253 Kilometer)

Anhaltende Internetschwäche in Tateinheit mit laaaaaaangen und aaaaaaanstrengenden Tagesetappen erschweren regelmäßige Berichterstattung. Sorry! Aber je mehr wir uns von der zivilisierten Welt entfernen, umso schwieriger wird das Bloggen. Und das ländliche Texas, Herrschaften, ist etwa ein parsec von der zivilisierten und digitalen Welt entfernt. Für diejenigen, die in Mathe nicht aufgepasst haben: 1 Parsec (Parallaxensekunde) = 3.08567758 × 1016 Meter = 3,26 Lichtjahre: in Texas gilt das politisch, computertechnisch und kulinarisch (jedenfalls aus Sicht desjenigen, der kein Fleischesser in dem Sinn ist). Aber schön ist Texas schon. Wunderschön sogar, bezaubernd und bisweilen umwerfend. Und die aller-aller-allermeisten Texaner, denen wir begegnen, sind nett und hilfsbereit. Gestern blieb z.B. ein Auto neben uns stehen, als wir gerade pausierten. Es war schon kurz vor der Dämmerung, aber die nächste Stadt noch fast 30 Kilometer entfernt. Der Fahrer bestand darauf, dass wir uns seine Telefonnummer notieren und ihn anrufen, falls es kritisch wird bzw. wir Hilfe bräuchten. Dafür liebe ich die Amis. 

Jetzt aber zurück zum ersten der zwei vergangenen Tage. Wir starten unsere zwei bislang längsten Etappen frühmorgens in Fort Hancock, was für euch mal wieder ein Sonnenaufgangsbild zur Folge hat:


Wir radeln durch die "High Desert", die ... hm... hohe Wüste? Hochgelegene Wüste? Hochlandwüste? Die Mojawe Wüste in Südkalifornien zum Beispiel ist eine der bekannteren Vertreterinnen einer "high desert". Wie dem auch sei, wir radeln zwischen 1.300 und 1.800 Meter durch die eine neue Wüste. Sie ist trocken - logisch - aber im Gegensatz zur Sonora Wüste in Arizona richtig kühl. In der Nacht fällt das Thermometer sogar bis knapp an die Null-Grad-Grenze, während es tagsüber dann auf angenehme 27 - 33 Grad klettert. Perfekt zum Radeln, sieht man von den ersten 40 - 50 Kilometern ab, wo einem die Finger abfrieren und das Zähneklappern die Trucks übertönt. 120 Kilometer galt es bis Van Horn zurücklegen. Davon - mangels Alternativen - ein gutes Stück auf der Autobahn. Aber die ersten 45 Kilometer schlängelten wir uns parallel zum Rio Grande entlang der mexikanischen Grenze durch weite und leere Landschaft. Im Hintergrund grüßen die Berge der mexikanischen "Sierra Madre".



Hier stoßen wir auf einen (ebenfalls trockenen) Zufluss zum Rio Grande, den lokale Zeitungen schon in Rio Sandy umgetauft haben.


Ich hatte mich sehr auf eine Trucker-Raststätte gefreut, in der ich während meiner 2007er Tour gefühlte vier Kilo an Pancakes samt einem Eimer Ahornsirup vertilgt hatte. In dem Trucker-Stop war damals die Hölle los. Ein Treiben, wie auf einem Jahrmarkt war das. Und viele Jungs in karierten Hemden mit dem obligatorischen Cobwoyhut auf dem Kopf und dem Colt im Holster wollten von uns wissen: woher, wohin, wieso. Das übliche. Und jetzt? Bröckeliger Beton, eingeschlagene Fenster, zerfledderte Stühle auf der Veranda. Wie für so viele andere Restaurants, Kneipen oder eben auch Trucker-Stops bedeutete der wirschaftliche Einbruch im Jahre 2008 das Aus für diese Raststätte. Nur John Wayne ist noch immer zur Stelle, wenn es drauf ankommt.




Nebenbei bemerkt: Seit Beginn dieses Beitrages bin ich schon vier Mal aus der Leitung geflogen. Mittlerweile im 90-Sekunden-Takt. Ich sage nur "Parsec!" Aber weiter im Text.... Nach 120 Kilometern sind wir völlig platt. Angie, ich und drei Reifen. Ja, DREI. Doppelplatten an beiden Hinterrädern und dazu noch ein platter Vorderreifen bei meinem Rad. Welch ein Timing. Erst am Hotel ist die Luft weg. Aber jetzt mal im Ernst: Soviele Platten? Täglich einen oder zwei seit einer guten Woche. Trotz Schwalbe Marathon Plus? Wie kann das sein? Antwort: Wegen dieser elenden Autoreifenfetzen, die zu Tausenden auf dem Seitenstreifen (= unserer Fahrspur) liegen. In den Reifenfetzen sind Stahldrähte, die abbrechen, vom Wind verblasen werden und sich dann in unsere Reifen bohren. Einen TÜV gibt es nicht und viele dieser Hirschen fahren ihre Reifen, bis sie zerplatzen. Parsec, sag ich nur. Hier gehen nur Fakire auf dem Seitenstreifen barfuß. Mit den Drähten, Schräubchen, Nägeln und Glassplittern, die ich auf dieser Reise schon aus unseren Reifen gepuhlt habe, wäre ich beim Wertstoffhof ein "A"-Kunde. Mit den letzten Luftreserven schaffen wir es bis ins Hotel und statt Abendessen gibt es erst mal ein paar Reifen zu flicken. Bäh.

Am Tag darauf warten gar 132 Kilometer auf uns. Die ersten 105 davon geht es sanft aufwärts. Und - wir haben Gegenwind auf den ersten 75 dieser Kilometer. Heissa! Ich verausgabe mich dabei derart, dass mir erst schwindelig, dann schlecht wird. Issja supa! Und vor uns noch 57 Kilometer inkl. ein Bergpass. Um uns rum die menschenleere, aber traumhaft schöne Unendlichkeit der texanischen "high desert". Mitten in dieser Unendlichkeit der texanischen Wüste steht dieser Prada-Laden am Straßenrand wie eine Fata Morgana.


Es handelt sich um ein Kunstprojekt, die ja heute auch gerne als "Installation" bezeichnet werden. Der Künstler künstelt also nicht mehr, er installiert. Na Bravo! Dann fragt doch nächstes Mal den Installateur, ob er auch brav seine Beiträge an die Künstler-Sozialkasse entrichtet. Künstler, die installieren... Die Zukunft ist ein Abgrund, sage ich euch. Den Medien konnten wir entnehmen, dass auch Playboy ins Kunstgewerbe einsteigen will und nahe der Prada-Installation eine eigene Installation plant. Die Playboy-Installateure haben aber ein Problem: sie dürfen nicht! Und jetzt sind sie beleidigt und schreien "Wenn wir nicht dürfen, dann dürfen die andern aber auch nicht. Ellabätsch!" Und schon sind die Gerichte beschäftigt und diese wirklich grandiose Fata Morgana mitten in der texanischen Wüste, ein Kunstprojekt, das sogar ich als absoluter Kunstbanause nur genial finde, wird vermutlich verschwinden müssen. Dafür brauchen sie dann wahrscheinlich einen De-Installateur-Künstler. Bei uns heißt das zwar "Planierraupenfahrer", aber was solls. Parsec.

Für diejenigen, die es genau wissen wollen: dieses Schild neben dem Prada-Laden, der keiner ist, löst das Rätsel der Fata Morgana:


Wir nehmen die letzten 57 Kilometer in Angriff. Mein Magen wird immer rebellischer, meine Kräfte schwinden zusehends. Unglaublich, welche Auswirkung ein wenig Damenmode auf mich hat. Oder war es doch nur das seltsame Sandwich, das ich viel zu schnell hinunter gewürgt habe? Oder der Kampf gegen den Wind? oder beides? Und weil das alles noch lange nicht reicht für einen 132-Kilometertag, haben Angie und ich kurz darauf den nächsten Doppelplatten. Beide Hinterreifen zur selben Zeit durchlöchert. Jeweils ein Stahldraht aus ... aber das wißt ihr ja nun schon. Wieder 20 Minuten verloren. Es ist schon 15:35 Uhr! Die Zeit läuft uns davon. Vor uns noch 54 Kilometer und ein Pass. Und ich kann kaum mit Angie mithalten, die wegen mir schon auf die Bremse drückt. Hilft nix: Reifen reparieren ist angesagt. Eins nach dem anderen.



Wir fahren weiter. Mein Magen rebelliert nach wie vor, meine Kräfte sind auf 20% geschwunden. Da entsinne ich mich der Tübchen „Power-Gel“, die wir für absolute Notfälle („powers you up, no matter what!“) erstanden haben. Man sieht ja in den tiefsinnigen Actionfilmen immer diese Helden, die einem Schwerstverwundeten und im Sterben Liegenden diese riesige Spritze durch das Brustbein jagt (es muß immer mitten durch das Brustbein sein, sonst gilt es nicht. Intramuskulär ist eines Helden nicht wert. Wer jedoch weiß, wie hart Brustbeine sind, der weiß auch, dass eine Spritze … aber lassen wir das an dieser Stelle.) Ich stellte mir dieses Power-Gel jedenfalls als gallertartiges Äquivalent zur Lazarus-Spritze vor. Nur eben ohne Brustbeindurchbohrung und mit Himbeergeschmack. Eine halbe Stunde später lege ich noch eine zweite Packung nach. Und siehe da, ich erhole mich von Minute zu Minute und als dann bei Kilometer 94 der Bergpass endlich beginnt, bin ich wieder bei 80% meiner Leistung und kann so einigermaßen mit Angie mithalten.

Die gemächliche Fahrt auf dem einsamen Highway 166 wird zu einer Zeitreise durch Wild-West-Romantik und zählt ohne Zweifel zu den bislang schönsten Abschnitten dieser Tour. Das Licht des späten Nachmittages verleiht dem Ganzen noch ein wenig Extra-Glanz samt einem Schuss Magie. Andererseits - dieser Pass wäre selbst an einem wolkigen Tag ein Juwel. Weil uns die Zeit im Nacken saß, habe ich mich auf Videoaufnahmen beschränkt. Fotos gibt es leider keine.

Nach 8 Stunden und 12 Minuten reiner Fahrzeit kommen wir um 07:00 Uhr Ortszeit in Fort Davis an. Um 08:30 Uhr morgens sind wir in Van Horn gestartet. Was für ein Tag.

Zum Schluss noch was aus der Rubrik "Humor"


Und hier das Programm der nächsten drei Tage: Donnerstag: 94 KM, Freitag: 90 KM, Samstag: 132 KM. 

--- Parsec ---


5 Kommentare:

  1. Parsec ... Dein Blog lernt mir immer was!

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    1. Hat mir der Perry Rhodan gelernt

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    2. .. ja aber in diesem Zusammenhang ... - und ich fang jetzt auf meine alten Tag nicht nochmal mit PR an - würde sicher meine liebevollen Erinnerungen an Gucki den Mausbieber zerstören.

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  2. Garmisch - Weilheim - Schongau hatten heute wegen Schnee Ruhepause nix ging mehr

    soviel zu unserem Wetter; a bissal Waser kannt ma Eich sco überlassen
    mir häd'n grad no gnua

    Aber Dein Peck mit den Reifen
    richtig verhext ?
    und Straffes WE vor Euch

    I 'll cross my fingers

    Irgend ein Zyclon wird für den Golf von Mexico gemeldet
    stört der Eure ?Kreise?

    Good Luck
    JoeB

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    1. Hey Joe,

      Schnee? Im Oktober? Jessas! Bislang wirken sich keine tropischen Stürme jeglicher Art auf unser Wetter aus. Jeden Tag blauer Himmel, Null wolken, nach morgendlicher Kühle dann Temperaturen zwischen 25 und 33 Grad - und relativ wenig Gegenwind. Relativ. Bis jetzt! Aber immerhin. Das mit den Reifen ist in der Tat verhext. Mittlerweile repariere ich Platten ohne anzuhalten :-)

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