Sonntag, 15. Dezember 2013

Dschungelzauber

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Das Unwetter von gestern tobte die ganze Nacht. Als ich heute morgen um 07:02 Uhr einen Blick aus dem Fenster warf, sah ich Atlantis. Mein erster Gedanke: "Hoffungslos". Mein zweiter Gedanke: "Was sagt der Wetterbericht?" Der behauptete, dass es bis ca. 11:00 Uhr regnet und dann langsam aufklart. Alte Radlerweisheit: Wenn das Hirn mit den Schultern zuckt, den Magen fragen. Der Magen antwortete ohne Zögern: "Frühstück!" Klingt nach einem guten Plan. Ich schaffe es gerade noch vor einer Horde anderer Gäste und bin der Erste an der Waffelmaschine. YEAH! Zwei Waffeln mit viel Ahornsirup, danach ein Pfund Rührei, dazu ein Bisquit und zwei Toastscheiben und einen Eimer Kaffee. Göttlich! Ich bin unbesiegbar!

Um 08:00 Uhr goss es nach wie vor, als gäbe es kein Morgen. Zweites Frühstück? Zu früh. Nichts übertreiben. Obwohl... eine Waffel... Nein! Nichts übertreiben. Lieber eine Stunde im Bett dösen und gelegentlich eine Blick aus dem Fenster werfen. Gegen 10:00 hörte der Regen auf, um 10:15 Uhr lichteten sich die Wolken. Anziehen, packen und los ging's.

Es war einmal die Eisenbahn. Auch in Gainesville. Dann kamen die Straßen und die Schienen verschwanden. Aber einige wenige überlebten und wurden zu Radwegen umgebaut. "Rails to Trails", heißt das Programm in den USA. Durch Zufall stieß ich gestern abend bei meinen Google Recherchen darauf, dass nur 800 Meter neben unserem Hotel einer von vielen Trails verläuft. Als autofreie und grüne Aderen durchziehen diese Trails die Großstadt und erlauben es dem Radler, im Dschungeltunnel durch die Metropole zu rollen. Bizarr.


Wir freuen uns nicht nur auf den Höhepunkt dieses Tages, sonderen auf ein Kronjuwel der kompletten Tour: den Gainesville-Hawthorne Trail, der im Süden der Stadt beginnt. Ich fuhr diesen Trail heute zum vierten Mal und freute mich seit Beginn der Reise darauf. Im Blog zu meiner "TransAmerica" Tour von 2010 hatte ich damals geschrieben: "Dieser 25 Kilometer lange Rad- und Wanderweg ist einer der viel zu wenigen „Rails-to-Trails“ Projekte im Land der stillgelegten Eisenbahnstrecken. Hier radelt man nicht einfach durch, hier taucht der Radler ein in ein mystisches Märchenland aus dichtem Grün, das ihn förmlich verschlingt und mit einer exotischen Kakophonie aus Dschungelgeräuschen betört." So ist es. Ich bin zum vierten Mal für eine Stunde sprachlos, begeistert, gerührt, fasziniert, bezaubert.






Wie üblich endet der Zauber viel zu früh und es ist, als würde mitten in der Nacht der Wecker leuten. Diese 25 Kilometer sind ÜBERIRDISCH. Und das aus dem Mund eines tiefgläubigen Atheisten. Mehr sog i ned.

Vom Ende des Trails in Hawthorne bis zu unserem heutigen Etappenziel Palatka mußte ich wieder ein wenig improvisieren, weil wir die Originalroute nicht bis Einbruch der Dunkelheit geschafft hätten. Derartige Alternativrouten notiere ich mir immer auf einen Notizzettel, den ich dann zur Karte in die Lenkertasche vor mir stecke. Das Ergebnis sieht dann so aus:


Endlich einmal kein Gegenwind! Wir fliegen mit durchschnittlich 26 km/h nach Palatka, teilweise zeigt der Tacho mehr als 30 km/h. Angie und ich sind mittlerweile derart gut in Form, dass wir 80 oder 100 Kilometer in einem Zug durchradeln. Wir bremsen nur für Dehnübungen, Liegestützen oder einen ausgiebigen Schluck aus der Wasserflasche, aber das wars dann auch schon mit Pausen. Nach über 5.000 Reise-Kilometern ist das auch kein Wunder. Ich kenne das Phänomen ja schon von meinen bisherigen Reisen. Ab 4.500 Kilometern bist du voll drin und in Höchstform. Pausentage machen einen dann fast schon nervös, du kannst die nächste Etappe kaum erwarten und das immer nährer rückende Ende der Tour wirkt auf einmal nicht mehr erstebenswert sondern eher bedrohlich. Das alte Problem besonderer Ziele: was ist danach? wohin auf einmal mit all dem nicht mehr nötigen Willen und der überschüssigen Energie?

In Palatka nächtigen wir am St. Johns River, dem längsten Fluß Floridas und dem mit nur 9 Meter Gefälle (auf 500 Kilometern) flachsten Fluß der Welt. Trotz hohen Säuregehaltes tummeln sich im St. Johns River unter anderem Delphine, Seekühe und Alligatoren. Die Badehose bleibt also besser in der Packtasche.


Morgen werden wir die im vorangehenden und folgenden Foto sichtbare Brücke über den St. Johns River überqueren und danach Kurs auf St. Augustine nehmen. Aber kurz vor der historischen Stadt an der Atlantikküste besuchen wir zuerst noch unsere Freunde Tom und Eunice. Tom war einer der 12 Amerikaner, mit denen ich im Jahre 2007 den Southern Tier erstmals radelte. Aus Kameradschaft ist über die Jahre Freundschaft geworden. Erst in drei Tagen schwingen wir uns wieder aufs Rad und strampeln die letzten 30 Kilometer bis zur Atlantikküste. Dann ist die Pflicht erfüllt - vom Pazifik zum Atlantik. Danach folgt die Kür. Entlang der Atlantikküste radeln wir solange nach Süden, bis es keinen Meter mehr weitergeht: Key West.


1 Kommentar:

  1. geht ja gaaar nicht

    2 Einträge o h n e Kommentare
    und nach dem Ihr den Atlantik erreicht haben werdet
    werden die Punktrichter die Täfelchen hochhalten und
    werten

    10.0 10.0 10.0

    Große Leistung
    und das mit der Sucht kann ich bestätigen, zwar nur bei der Arbeit
    lieber am Wochenede durcharbeiten damit der Sprung am Montag nicht zu hart ist...

    Liebe Grüße
    grüßt mir den
    Atlantik -

    JoeB
    da muss ich Abhilfe schaffen

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