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Quelle: Internet |
Wir haben Panama City erreicht. Panama City in Florida und nicht Panama City in Panama. Das floridanische Panama City hieß ursprünglich Harrison. Hand aufs Herz: Welche Stadt mit einem halbwegs intakten Schamgefühl will schon Harrison heißen. Oder Katzenhirn (Kreis Mindelheim), Kotzen (Kreis Havelland), Prügel (Kreis Lichtenfels), Oberhäslich (Weißeritzkreis) - oder Altötting (Kreis Altötting). Das hat sich auch ein Herr namens George Mortimer West gedacht, der aus unerfindlichen Gründen den Bau des Panama Kanals mit besonderem Interesse beobachtet hat und an irgendeinem Abend aus ebenfalls unerfindlichen Gründen den Atlas aufgeschlagen hat und aus erneut unerfindlichen Gründen mit dem Lineal eine Linie von Chicago, USA nach Panama Stadt, Panama gezogen hat. Und siehe da, die Linie von Chicago nach Panama Stadt verlief mitten durch Harrison. Tja, was soll ich sagen: Raider heißt jetzt Twix und Harrison heißt jetzt Panama City.
Und unsere Glückssträhne hält weiter an. Heute morgen war es zwar zunächst verdammt kühl und alles deutete auf den angekündigten grauen Regentag hin. Aber dann wurde es wärmer und wärmer, die Wolken lösten sich verschämt auf und ab Mittag durften wir bei Sonnenschein und blauem Himmel am glitzernden Golf vo Mexiko entlang radeln. Auch die per Google Earth getroffene Streckenwahl hatte erneut alle Erwartungen übertroffen. Wieder hatten wir das Meer über weite Teile in Sicht- und Hörweite und ein Seitenstreifen oder sogar ein eigener Radweg (35 Kilometer lang) machte das Radeln zum Vergnügen. Im Sightseeing-Tempo rollten wir gemächlich durch hübsche, verschlafene und nahezu verlassene Feriensiedlungen an der floridanischen Golfküste. Ich fühlte mich wie Stu Redman in Stephen Kings postapokalyptischem Roman "The Stand", wo eine Handvoll Überlebende durch ein menschenleeres Amerika stolpern.
Ich bin zwar im Chiemgau aufgewachsen, wo du die Alpen im Vorgarten hast - aber ich liebe das Meer. Das bayrische Meer ist ein guter Anfang, aber ich will mehr Meer. Ich kann mich weder sattsehen am Blau noch satthören am Rauschen. Zugegeben, an die überirdische Landschaft der Santa Rosa Dunes der gestrigen Etappe kommt vermutlich nur noch eine Fahrt auf einem Regenbogen oder ein 5-Gänge-Dinner in der Waldschenke heran, aber auf Wolke 6 war ich heute in jedem Fall noch unterwegs.
Angies fährt meistens vor mir. Ihre Arme waren heute in ständiger Bewegung und mindestens siebzehn Zeigefinger zeigten wie in einem Cartoon ständig gleichzeitig auf irgendetwas völlig Neues und ganz Besonderes, das ich auf keinen Fall übersehen darf. Meinen Augen ist jetzt noch schwindlig.
Es ist das alte Lied: Du kannst Tausende von Fotos machen, stundelang die Videokamera laufen lassen und um Worte ringen, bis dir dein eigenes Hirn die rote Karte zeigt; wenn du nicht begnadet bist, dann bleiben 95% der Eindrücke auf der Strecke. Die richtigen Worte erschaffen Welten, die falschen lassen sie verblassen. Kurt Tucholsky, wo bist Du, wenn ich Dich brauche? In Hindås, ich weiß. Ich weiß. Du könntest die letzten zwei Tage in die richtigen Worte gießen. Ich dagegen sitze da und tippe einen Satz nach dem anderen, den ich anschließend wieder lösche, um ihn durch einen neuen zu ersetzen, den ich anschließend wieder lösche, bis ich das übrig lasse, was am wenigsten nach verbalem Dünnbier schmeckt.
Wie üblich gib's noch ausgewählte Bilder des Tages. Natürlich war auch die Videokamera aktiv. Aber das neue Notebook hat bei weitem nicht die Power des geklauten Notebooks, mit dem ich HD-Videos ruckelfrei bearbeiten konnte. Jetzt sitze ich vor der Kiste und mein Blutdruck steigt in 0,8 Sekunden von 80/120 auf 160/290. Ich habe keine Geduld mit Computern. Computer müssen tun, was ich will. Jetzt und augenblicklich und perfekt. Wenn ich Mist will, wende ich mich an die Post, die Bahn oder die Telekom. Insofern muß ich alle Videofreunde leider auf die Zeit nach meiner Rückkehr nach Deutschland vertrösten. Dort wartet ein leistungsfähiger Computer und ein großer Bildschirm auf mich. Und die Post, die Bahn und die Telekom. Seufz, warum muß ich als Atheist das Fegefeuer schon zu Lebzeiten ertragen?
Till Senn
Es gibt ihn halt doch, den Radelgott, der Euch nun für alle Strapazen und Unbillen was Gutes tut.
AntwortenLöschenViel Genuss weiterhin.
Eule
Liebe Eule, vielen Dank für die guten Wünsche. Hat geholfen. Siehe Blogeintrag v. 8. Dezember :-)
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